Europa regiert die Welt in unterschiedlichen Geschwindigkeiten

WM 2018

Frag Fred: Zwei Fachmänner bereden das Turnier

Reden wir über Fußball“, sag ich. „Über
welchen?“, fragt Fred. „Die Auswahl ist
groß.“ Über die biederen Engländer, schlage
ich vor. Was haben die im Semifinale verloren?
„Seltsame Frage“, sagt Fred. Bei einem
Welterklärer wie ihm ist das ein Lob.
„Machen wir das Spiel auf “, setzt er fort,
„und fragen: Was sehen wir da?“
Europa wird Weltmeister. „Präziser: die
EU“, sagt Fred. Alle anderen Kontinente
sind zu Nebendarstellern degradiert worden.
„Obwohl die EU kein einheitliches Bild
abgibt, ist sie allen überlegen“, sagt Fred.
Wollten wir politische Avancen nicht draußen
lassen? Fred: „Schon, aber wie in der
Union definiert auch im WM-Turnier jede
Nation ihr Schicksal auf eigene Weise.“
Nur das „Tiki-Taka“ der Spanier ist tot. Fred
nickt. Die Kroaten spielen noch am ehesten
Besitzfußball. „In Ansätzen. Und sie haben
exzellente Stürmer wie Mandžukić, Rebić,
Kramarić“, antwortet Fred.
Sind Stürmer nicht das Geheimnis? Siehe
Kane, Lukaku, Mbappé? „Nein“, erwidert
Fred, „Spieler, die ins Tor treffen, sind eine
Selbstverständlichkeit.“ Ohne geht’s nicht,
siehe Deutschland. „Aber mich interessiert
das Herz der Teams, Spieler, die Tempo und
Takt bestimmen. Modrić, Pogba, Hazard.“
Die alten Dirigenten Messi, Ronaldo, Neymar
und Kroos sind abgetreten. Jeder der
Neuen schlägt seinen eigenen Takt.
„Die Franzosen bestimmen das Spiel mit
etwas Besitzanspruch. Ein wenig belgisches
Tempo, ein bisschen kroatisches Zangeln.“
Die Engländer? „Bestehen aus Tormann
Pickford, Kane und dem Gilet von Manager
Southgate“, sagt Fred. „Sie beschleunigen
und verschleppen, ein Spiel wie das lange
Verhandeln vor dem EU-Abschied.“
„Die Belgier spielen das höchste Tempo.
Wenn notwendig, verwenden sie Hilfsmittel,
die ihrem Naturell widersprechen.“ Beweis:
Gegen Japan haben sie bei 0:2 mit hohen
Flanken und Kopfbällen ausgeglichen.
Und mit einem Konter das 3:2 geschossen.
„Eden Hazard ist der Spieler des Turniers“,
findet Fred. „Seinem Takt folgen Ball, Gegner
und Mitspieler.“
Und dann ein Haken: „Die Hauptstadt
der EU und Belgiens ist Brüssel.“

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Der ewige menschliche Makel ist die Lebenslüge des Videoschiedsrichters

WM 2018

Frag Fred: Zwei Fachmänner bereden das Turnier

Die Deutschen können nichts für ihr
Ausscheiden. Der Videoassistent hat
den amtierenden Weltmeister nicht beschützt.
Ohne den VAR hätte der Referee
das 1:0 von Südkorea als Abseits gepfiffen.
Fred: „Ja, das war ein Systemfehler.“
Worin besteht das System? Und was
ist der Fehler? Fred setzt fort. „Der VAR
ist schlechter als sein Ruf. Er ist untauglich,
von außen die perfekte Entscheidung
zu liefern.“
Jetzt kommt er mit der Quantenphysik,
denke ich. Die hat gezeigt, dass ein Beobachter
immer auch Teil der beobachteten
Vorgänge ist. Und kein externer Zuschauer.
Fred: „Das technische Auge steht mitten
im Spiel. Nicht außerhalb. Es kann gar
kein objektiver Schiedsrichter sein.“ Fred:
„Mit dem VAR machen die Machthaber des
Fußballs glauben, sie könnten exakte Entscheidungen
garantieren.“ Ist Unsinn, da
gebe ich Fred recht. Hat man bei der WM
gesehen.
Aber warum geht das nicht? „Weil Fußballregeln
nicht mathematisch präzise
sind. Sie enthalten Unsicherheitsintervalle.
Ermessensspielräume.“ Mit dem Pfiff des
Schiedsrichters wird die Auslegung zur Tatsache.
Wenn der Schiri irrt, hat er trotzdem
recht. Fred: „Die Freiheit der Auslegung
und die Autorität des Schiedsrichters
sind Bedingungen, ohne die das Spiel nicht
möglich ist.“ Solange Schiedsrichter pfeifen,
bleibt die Auslegungsfreiheit gewahrt.
„Der Freiraum der Fußballregeln und fehlerfreie
Entscheidungen sind zwei unvereinbare
Paradigmen.“
Die Frage ist also: Warum wurde der Videoassistent
wirklich eingeführt? Vielleicht
wissen sie nicht, was sie tun? Fred lächelt
nachsichtig. „Wir haben es hier mit einem
geheimen zweiten Vorsatz zu tun.“ Endlich
gerechter Fußball? Fred lächelt nachsichtiger.
„Der VAR verschleiert die Absicht, den
Fußball übergeordneten Interessen zu unterwerfen.“
Manchmal, siehe Deutschland,
geht das schief. „Insgesamt aber funktioniert
der VAR mit ausreichender Präzision.
Die Fußball-WM ist und bleibt ein Unternehmen
der Europäer. Und Brasilien ist
sein Juniorpartner.“

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Der Videoassistent versucht, die etablierten Mächte zu schützen

WM 2018

Frag Fred: Zwei Fachmänner bereden das Turnier

Die alten, müden Löwen haben sich noch
einmal gerettet. Fred fragt: „Deutschland?
Brasilien?“ Na sicher, sag ich. Fred
geht in die Offensive: „Beide schwächeln,
die einen sind raunzende Diven, die anderen
haben unfitte Verteidiger. Das wahre
Problem liegt jedoch anderswo.“
Die alte Ordnung ist wiederhergestellt,
wende ich ein. „Nein“, sagt Fred mit diesem
weltzugewandten Blick. „Sieh genau
hin: Fußball ist nicht bloß Fußball. Er ist
ein populäres Subsystem und gleichzeitig
Repräsentant der Welt.“ Ich ahne, worauf
er hinaus will: Brexit. Trump. Desinformationstsunamis.
Ist diese Assoziation für
eine WM nicht zu weit hergeholt? „Videoschiedsrichter“,
wirft er mir hin. Bevor ich
antworten kann, setzt er fort: „Wie müssen
uns die Rolle des Videoassistenten genauer
anschauen.“ Rhetorische Frage, sage ich. Er
schützt die Wahrheit auf dem Platz.
Fred ignoriert die Ablenkung. „Die
Schweden kriegen gegen die Deutschen einen
klaren Elfer nicht. Zwei Schweizer ringen
einen Serben nieder. Schiri gibt Stürmerfoul
gegen Serbien.“ Der Videoassistent
reagiert nicht. Ich setze fort. Den Franzosen
schenkt er einen Elfer gegen Australien.
„Sie behaupten, der Videoassistent diene
der Wahrheit“, sagt Fred, „doch er soll lediglich
sie selber schützen. Die alten Mächte.“
Im Fußball kämpfen Brasilien und
Deutschland wie eh und je um die Hegemonie.
„Richtig“, sagt Fred. „aber ,urbi et
orbi‘ wankt die bestehende Ordnung.“ Fred
spielt den finalen Pass.
„Die große Welt hält im WM-Turnier
ihre Probe ab. Der Videoassistent gilt daher
als Symbol dafür, dass auch außerhalb des
Stadions alles noch in Ordnung ist.“
Fußball ist die Utopie einer gerechten
Welt. „Und sie ist rückwärtsgewandt“, sagt
Fred. Doch die Welt, wie wir sie kennen,
zerfällt. Siehe Brasiliens Staatskorruption,
Deutschlands Selbstzerrüttung oder Italiens
Selbstausschaltung. „Wladimir Putin ist
die einzige Konstante der vergangenen 20
Jahre“, sagt Fred. Im Guten wie im Bösen.
„Egal, ob Deutschland oder Brasilien Weltmeister
werden, immer steckt die alte Ordnung
drin. Mit anderen Worten: Putin.“

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Messi braucht die WM nicht mehr, aber die WM braucht ihn

WM 2018

Frag Fred: Zwei Fachmänner bereden das Turnier

Fred hat einige Weltmeisterschaften analysiert,
doch noch nie bahnte sich ein
derart brisanter Showdown an. Ich konfrontiere
ihn mit dem Leitmotiv, der Rache
Brasiliens für das 1:7 gegen die Deutschen
2014 im eigenen Land. Fred winkt
ab. „Das Thema ist die letzte Vorstellung
der Dioskuren Messi und Ronaldo.“
Wenn Messi diesmal nicht Weltmeister
wird, bleibt seine Geschichte unvollendet.
Maradona hatte ausreichend Gottheitspotenzial,
um Argentinien 1986 zum Weltmeister
zu führen. Ist Messi zu klein, um
sich mit ihm zu vergleichen?
Fred runzelt die Stirn, und das ist ein
Alarmsignal. „Was Messi geleistet hat, darüber
kann man nur ehrfürchtig schweigen.“
Das ist selten bei Fred. Nicht das Schweigen,
sondern die Ehrfurcht.
Alle Herausragenden hätten einen großen
Pokal. Pelé, Maradona, Zidane. Er habe
sie unsterblich gemacht, sage ich. Aber was
heißt das, unsterblich? Freds Miene verfinstert
sich. „Johan Cruyff ist ein Ewiger ohne
Weltmeistertitel. Er hat den Fußball revolutioniert.“
Der biedere Franz Beckenbauer,
Weltmeister als Spieler und Trainer, sei
hingegen schlicht ein Sterblicher.
Fred ist studierter Biologe, das mit der
Unsterblichkeit meint er metaphorisch. Die
Dioskuren waren Söhne des griechischen
Göttervaters Zeus. Pollux war unsterblich,
Kastor sterblich. Ich frage: Wer wird den
WM-Pollux geben, Messi oder Ronaldo?
Fred verlagert das Spiel: „Wir müssen umschalten:
Braucht Messi die WM für seine
Position in der Geschichte?“
Für solche Haken liebe ich ihn. Das
Spiel ist plötzlich völlig offen. Hat das Turnier
die Kraft, Menschen in Unsterbliche
zu verwandeln? Fred: „Erhebt nicht vielmehr
der göttliche Funke in einigen Auserwählten
das Turnier über bloßen Fußball?“
Ich verstehe.
Fred stellt den Fußball vom Kopf auf die
Füße: „Früher hat der Olymp Männer wie
Pelé zu sich eingeladen und in Gottgleiche
verwandelt.“ Ronaldo würde einer solchen
Einladung gerne Folge leisten.
„Messi aber ist Pollux. Er sagt: ,Wo ich
bin, ist der Olymp.‘“

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Die WM ist eine Frohbotschaft und Fred ist ihr Prophet

WM 2018

Frag Fred: Zwei Fachmänner besprechen das Turnier

Fred lächelt in den Spiegel. „Denn ich
sage euch, die Deutschen.“ 4:1 im Finale
gegen Spanien. Fünf Sterne, wie Brasilien.
Er dreht sich zu mir. „War von Anfang
an logisch.“ Reines Glück, denke ich. Messi
im Viertelfinale von Ramos k.o. geschlagen,
Neymar im Semifinale ausgeschlossen. Die
Deutschen waren dreimal fast draußen. Bevor
ich Fred fragen kann, wache ich auf.
Fünf Wochen vor Alfred Tatars geträumter
Selbstbespiegelung. Die WM in
Russland beginnt morgen. Ich frage Fred,
was alle fragen: Wer wird Weltmeister? Er
schlägt mit dem Arm einen großen Bogen.
Bei der WM 1978 – Córdoba und so – waren
16 Teams dabei, jetzt sind es 32 und
2026 werden es 48 sein.
Die Fifa bläst heiße Luft in den Ballon, sag
ich. Fred: „Im Gegenteil, sie hat verstanden,
dass Fußball alle Winkel der Welt erobert
hat. Und das Geschäft floriert auch außerhalb
Europas.“ Globalisierung. Ich entgegne,
Fußball war doch schon 1978 ein weltweites
Geschäft.
„Nein“, sagt er, „nur in Europa und Südamerika.
Die Grenzen waren dicht, in England
zum Beispiel durften nur zwei Legionäre
pro Klub arbeiten, und nur Teamspieler.“
Wenn die Gewerkschaft zustimmte.
Heutzutage ist Europa der Markt für
Spieler aus aller Welt, 271 WM-Kicker
spielen in England, Spanien und Deutschland.
„Die neuen WM-Teilnehmer“, sagt
Fred, „werden von der Fifa mit Geld gefördert
und verbessern damit ihre Infrastruktur
und Nachwuchsarbeit.“ Das ist keine
Förderung, sondern eine Prämie, sag ich.
„Erst die Leistung, dann das Geld“ dekretiert
Fred, „ausschließlich materieller Transfer
schafft Egalité.“
1954, als Österreich Dritter wurde, stellte
die Uefa drei Viertel der Teilnehmer, 2026
ist es ein Drittel. „Wenn die englische Premier
League in Asien enorme Summen lukriert“,
sagt Fred, „dann gehört die WM geöffnet.
Europa erschließt sich neue Märkte,
die Erträge konzentrieren sich in den großen
europäischen Verbänden.“
Fred nickt. Im Import-Export sind die
Deutschen Weltmeister. Und die WM ist
ein logischer Nebenerwerb.

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