HANNES UND ICH IV

DER GERECHTE SCHLAF DER SECURITY

Donnerstag Mittag in Mallemort, dem Dorf des schlechten Todes, mit dem Totenschädel, den gekreuzten Knochen und der Amphore im Wappen und dem Pressezentrum plus angeschlossenem Trainingsplatz der Autrichiens. Es ist heiss, die ÖFB-Kicker haben eben das Vormittagstraining beendet, ein großer Teil bestand aus der Kernübung des österreichischen Weges. Spieler steht am Mittelkreis, passt zu Trainer am 16er, der passt zur Seite, der Spieler schießt aufs Tor, daneben. Wenn ein Kicker das hunderttausende Mal übt, besteht eine gewisse Chance, das er im Match den Kasten trifft. Die Öffentlichkeit war ausgeschlossen, die „Medien“ nach einer Viertelstunde ebenfalls, am Nachmittag war dann offenes Training, Teamchef Marcel Koller, ein unglaublich sympathischer und witziger Mann, kündigte an, nicht nur analytisches Passspiel zu bieten, sondern etwas Unterhaltsames. Das Tor treffen?

Der Platz ist von zwei Zäunen umgeben, auf dem ersten, hohen, sind grüne Plastikplanen, die das Beobachten des  Trainings verhindern sollen und einen guten Durchblick bieten. Man muss sich dem Platz nur von der Seite der Gendarmerie nähern, vielleicht ist das auch die Absicht, dass die französischen Landgendarmen die Österreicher beim Schiessen beobachten können.

Ok, kein Zynismus, oder nur so viel, wie unvermeidlich. Nach 1500 Kilometern in zwei Tagen braucht die EM-Euphorie noch ein wenig Zeit zum Keimen. Zwei Mal sind der Hannes und ich zwischen Bregenz und Aix en Provence in schweren Regen mit Hagel gekommen, wir haben das mannhaft als kein Zeichen von oben gedeutet, umzudrehen. Auf der italienischen Autobahn waren wie immer die Irren unterwegs, in Frankreich halten sie immerhin Abstand, das ist auf der kurvigen Autobahn ab Ventimiglia kein Fehler. Auf dem Place de Augustin in Aix war bis auf hie und da vorbeischlendernde Polizisten in schussicheren Westen von Streiks, Terrorangst oder Euro nicht das Geringste zu spüren.

Die Zufahrt zum Teamhotel der Österreicher auf dem Weg von Aix nach Mallemort wird von zwei Gendarmen gesichert. Vor dem Tor zum Hotel steht noch ein Security, der bei der Frage nach dem Pressezentrum die rechte Hand wie beiläufig aber doch sichtbar über der Glock im Hüfthalfter schweben lässt. Sonst sind keine Sicherheitsleute oder –maßnahmen zu sehen, wobei sich eine genauere Inspektion verständlicherweise verbietet. Ich hoffe nur, dass der ans Hotel angrenzende Wald wenigstens in der Nacht von Cops mit Hunden gesichert wird, sonst könnte sich dort jede Pfadfindergruppe unnbemerkt bis zum Swimming Pool anschleichen.

Das Hotel selbst macht einen beinahe unerträglich gutbürgerlichen Eindruck. Hier wohnen normal nur Urlauber mit teuren Autos und Vorlieb für teure Menüs. Neureiche Parvenüs, Manager und Unternehmer, Zahnärzte und ab sofort eben Nationalkicker. Der Teamverteidiger Sebastian Prödl lobte auf der Pressekonferenz, wie viel Platz das Hotel biete und Kollege Martin Harnik fand anerkennende Worte für die vielen Spielmöglichkeiten, von der Play Station über den Pool und die Tischtennis-Platte bis zum Kraftkammerl mit Entspann-Effekt. Da die Mannschaft aus Gründen der fortgeschrittenen Gutbürgerlichkeit der Kickerei und der fortgeschrittenen Security-Maßnahmen allein im Hotel wohnt, „kann sich jeder ausbreiten“, wie PrödlHarnik festhielten.

Marcel Koller fügte auf die kritische Frage, wie die Mannschaft in Frankreich aufgenommen worden sei, hinzu, dass man sich hier in Mallemort, dem Ort mit dem Totenschädel im Wappen und der mehr als üppigen blutrünstigen Vergangenheit gut aufgehoben und daher wohl fühle. Das mit dem Totenschädel und dem Blut sagte er natürlich nicht, weil er es mit ziemlicher Sicherheit nicht weiss und wenn er es wüsste, würde er es nicht erwähnen, um nicht unnötig Druck auf die Mannschaft aufzubauen, sich einer weiteren glorreichen Vergangenheit würdig erweisen zu müssen. Weiterlesen

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HANNES UND ICH III

AUFBRUCH ZU EINER FRANKREICHREISE UND

DIE RITUALE DER RELIGIÖSEN

In den letzten Stunden vor dem Aufbruch kommt immer alles zusammen, zumindest bei mir. Den Alltag musst du auslassen. Das ist bei der konzentrierten Gewalt der Routine gar nicht leicht und ohne Schmerzen zu machen. Die Reiseplanung, die entlang der alten Routen führen wird oder über neue, an der aktuellen Euro angelehnte. Der Hannes sagt mir endlich, wohin er gleich am Anfang will, nämlich ins Trainingslager der Österreicher in einem Provence-Dorf, das auf deutsch „schlechter Tod“, Mallemort, heißt. Soll sein.

Wir verlassen ein Österreich, in dem ein geschniegelter Maturant, der aufgrund undurchsichtiger Parteitaktik den Außenminister spielen darf, die Zukunft des Christlich-Sozialen vorwegnimmt. Er will Flüchtlinge auf Inseln, wo er nichts zu melden hat, weil sie anderen Staaten gehören, in diesem Fall Griechenland, Flüchtlinge internieren. Das ist merkwürdig? Nein, merkwürdig ist der Verweis des Außenministerfiguranten auf das Vorbild Australiens, das die Europäische Menschenrechtskonvention nicht unterschrieben hat und von seiner Marine Boote voll mit Flüchtlingen aufs Meer hinausschleppen lässt, wo sie aller Wahrscheinlichkeit verrecken, die Menschen in den Booten.

Wir stehen vor einer atemverschlagenden Unmenschlichkeit, die von der Zukunftshoffnung der Österreichischen Christlich-Sozialen Partei, ÖVP, allen Ernstes als Lösung vorgeschlagen wird. In seiner ganzen mir bekannten Meldung hat Kurz kein einziges Mal das Elend und die Bedürfnisses der Flüchtlinge, Menschen, die auf dem Meer mit ihren Kindern ersaufen, der Erwähnung wert befunden. Ich höre nun auf, diese unwürdigen Äußerungen eines Parteiparvenüs zu beschreiben, sonst wird es eng und schwarz. Noch sinnentleerter sind nur die Meldungen, in denen von einer Pofilierung Kurzens auf Kosten und in Unwissenheit der ÖVP die Rede ist. Das halte ich für den größten Unsinn. Ich bin sicher, dass das zumindest in groben Zügen abgesprochen ist: wir graben der FPÖ die strengen Regelungen wider Fremde ab.

Selbstverständlich funktioniert das wieder nicht und schaut wie politische Kleinkrämerei aus, weil sie genau das ist. Also das Gegenteil von Politik wie man sich das wünscht als Staatsbürger im 21. Jahrhundert: den rechtlichen Leitlinien des Abendlandes entlang, mit Respekt vor dem Mitmenschen. Natürlich gehört das Ersaufen der Flüchtlinge im Mittelmeer gestoppt, aber das geht doch nicht durch Internieren und Schleppen der Boote auf die hohe See. Das geht doch nicht, indem Österreicher und Flüchtlinge gegeneinander ausgespielt werden, mit dem Schielen auf Schlagzeilen von unbarmherzigen Zeitungen.

Der Hannes und ich brechen nun in ein Land auf, in dem die Auseinandersetzung mit den Flüchtlingen und mit den Terroristen in einer Heftigkeit geführt wird, die uns in Mitteluropa (noch?) unbekannt ist. Der heurige Sommer beginnt mit einem Turnier, das die ganze Friedlichkeit des westlichen hegemonialen Systems Sport feiern sollte und sich längst in ein zynisches, von Zäunen,. Securities, Drohnen, Militär, Polizei-Sondereinheiten und Satellitenüberwachung geprägtes und von der Angst vor Terroranschlägen getrübte Medienereignis verwandelt hat. Mein Sohn fährt mit Freunden auch hin und schaut sich ein paar Spiele an, ich hoffe, den Kindern passiert nichts.

Innen drin im Hochsicherheitstrakt läuft noch alles nach denselben Ritualen wie in den vergangenen 30, 40 Jahren. Die Ödnis des ewigen Trainingslagers, die Segregation von Familie und Freundin, die mehr (Deutschland) und weniger (Österreich) glanzvolle Redundanz der Pressekonferenzen, Neuigkeiten, Interviews und Analysen, Vorausschauen und Expertengequatsche. Weiterlesen

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HANNES UND ICH II

DER HOCHSICHERHEITSTRAKT IN FRANKREICH

UND DIE FERNSEHSERIE

Ich habe etwas vergessen. Es ist der zweite Tag der Vorbereitung auf die Reise nach Frankreich und schon habe ich etwas übersehen. Beim Abstauben des Bücherregals habe ich noch ein Heft gefunden. Es enthält Notizen, die ich während eines Ausflugs in die Provence geschrieben habe. Das muss im Frühsommer 2009 gewesen sein, falls ich meinen Kalender zufällig wieder finde (was gibt es noch zum Abstauben?), kann ich das feststellen. Suchen werde ich nicht danach, das würde in die Erinnerungen auch keine Ordnung bringen oder nur den Anschein von Ordnung. Das Jahr der  Erlebnisse spielt im Rückblick keine Rolle, die Bejahrung vermittelt nur eine oberflächliche Beruhigung, wie das Wissen, wo ein bestimmtes Buch auf dem Regal steht. Die Hauptsache ist, es steht da und ist greifbar, der genaue Ort ist unwichtig. Außer, das Buch steht im Zusammenhang mit anderen Büchern, zum Beispiel über die Zeit. So ist es auch mit der Zeit, die unter anderen Namen den der Erinnerung trägt. Die Bejahrung der Vergangenheit spielt beispielsweise im Fußball eine entscheidende Rolle. Auf ihr gründen sich die Theorien von der Entwicklung des Spiels, die von  Alfred Tatar als Unsinn verworfen werden.

Im zweitem zufällig gefundenem Büchl, dessen Auftauchen einiges über den Zustand des Bücherregals sagt, der nun in eine vorübergehende Phase größererer Redundanz tritt, finden sich Orte, die ich mit Hannes gemeinsam wieder zu finden hoffe. Und das ist interessant.

Vielleicht sollte ich jetzt erklären, wer Hannes ist. Er hat in den 70ern im Nationalteam gespielt, unter Teamchef Leopold Stastny. 0:0 gegen Italien vor 70.000 Menschen im Praterstadion. Er war der Libero und es soll damals keiner an ihm vorbeigekommen sein, ohne eine ernsthafte Verletzung zu riskieren. Das klingt lustig, unernst, wie ein Gag. Heute frisieren sie den Fußball gern zu einer Auseinandersetzung von Gutwilligen zur Erbauung von Lernbegierigen. Ich kann hier versichern, das ist nicht so und der Hannes ist einer der Wenigen, die das nicht nur wissen und mitgemacht und miterlebt haben. Er kann das auch erklären, wie das sonst keiner kann, zumindest keiner, den ich kenne.

Das war auch der Grund, warum ich so gern mit ihm unterwegs war, solange wir uns mit dem ÖFB-Team und diversen Klubmannschaften als Lohnschreiberlinge von Zeitungen durch den Fußball bewegt haben. Rundherum Journalisten, die alles über den Fußball gewusst und noch mehr geschrieben haben und mittendrin er, der das als Einziger von uns selber gemacht hat und als Einziger wusste, wie es geht. Und damals gab es noch kein Internet, in dem einige wenige ernsthafte Unternehmungen den Kick auseinandernehmen und noch vielviel mehr Gscheiterln schreiben, die in ihrem Leben  nicht nur nicht kicken konnten, sondern nicht einmal mit Spielern oder Trainern reden und vom Fernseher herunter oder aus den Websites der Zeitungen Berichte zusammentragen und daraus Analysen basteln.

Der Fußball oder der Sport überhaupt zeigt die Linie, die sich durch den Journalismus zieht. Seit ich 1980 in die Branche eingestiegen bin, beobachte ich mit Staunen, wie geschmeidig diese Grenze von allen Beteiligten überschritten, ignoriert, instrumentalisiert und in seltenen Fällen auch geschützt wird. Der Hannes hat sie für sich geschützt. Auf der einen Seite dieser Trennlinie sind die Experten, Menschen, die vom Fach, über das sie schreiben, also Politik, Wirtschaft, Fußball, wirklich etwas verstehen. Weil sie eine Ausbildung auf sich genommen und in dem Fach gearbeitet haben. Weiterlesen

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Hannes und ich I

NOTIZEN VON EINER REISE NACH FRANKREICH

Ich habe mein Bücherregal abgewischt und ein fast leeres Notizbuch gefunden. Meine Schwiegermutter hat es mir vor ein paar Jahren geschenkt. „Damit du was Schönes zum Schreiben hast“, hat sie gesagt. Sie liebte Bücher, gute Zeitungen, alles gut Geschriebene und ich bin heute noch gerührt, dass sie mich damit irgendwie in Beziehung setzte. „Spätlese Das Notizbuch“ steht vorne auf dem Notizbüchl. Unter dem Titel ist eine Bleistiftzeichnung. Ein lang geratenes Küken kuckt aus einer länglichen Wabe, deren oberster Teil nach hinten geklappt ist und wie eine Kapuze ausschaut. Ein Wabenküken mit Kapuze.

In ein paar Tagen fahre ich nach Frankreich, ich schau mir das Drumherum der Europameisterschaft an. Das Notizbüchl begleitet mich, Aufschreiben und Herumfahren sind zwei Wochen lang eine Live-Parallelaktion. Auf den ersten Seiten des Büchls steht eine Idee für einen Fußballfilm. Ziemlich unbrauchbar, wie mir scheint. Ich kann mich erinnern, dass ich mich damals verpflichtet gefühlt habe, in das Geschenk der Schwiegermutter was Gscheites zu schreiben. Schöne Schreibgeräte erzeugen einen Sog, und Unvorsichtige wie ich geben ihm nach. Ich kann mich an einen Kollegen erinnern, der spielte mit teuren Kugelschreibern und Füllfedern herum. Er konnte zwar kaum einen geraden Satz schreiben und war kaum zu bewegen, eine Geschichte zu recherchieren, aber er war süchtig nach dem Kick, den der Besitz von edlen Federn erzeugt. Auch hielt er sich selbst für eine edle Feder, wie es angeblich viele in Österreich gibt.

Die Edelsten der Edelsten erhalten dann von einer Jury einen Preis. Das ist eigentlich ein Titel, denn er bringt kein Geld, ja nicht einmal Anerkennung in der eigenen Redaktion. Bei kritischer Betrachtung, die freilich Journalisten über ihre Arbeit und Umstände nie zulassen würden, geht der Titel reihum von einem Verlag zum nächsten. Jeder kommt binnen weniger Jahre dran, und die den Preis vergebende Zeitschrift, eine hagiographische Ausstülpung des Journalistenbusiness, argumentiert mit der Aktion ihre Position in der Medienlandschaft.

Das Notizbüchl werde ich in einigen Jahren lesen, wenn die Euro längst Nostalgie und die Enttäuschung, nicht Europameister geworden zu sein, abgeflaut ist. Vielleicht geht es mir dann so wie heute, wenn ich an die WM 1998 denke. Der Hannes und ich sind vier Wochen durch Frankreich gegondelt. Vorbei an Wassertürmen, Lavendel- und Cabernet Sauvignon-Feldern. Die ersten zwei Wochen drehten wir um das Medoc-Städtchen Margaux, wo die Österreicher wohnten und trainierten, unsere Runden. In der Kantine des Fußballplatzes hatten die Winzer eine Vinothek eingerichtet, für die jeder österreichische Weinbauer gemordet hätte. Eine Gruppe ungebildeter Sportjournalisten ließ sich dort in die Anfangsgründe der Bordeaux-Weine einführen. Das ÖFB-Team schied dennoch glanzlos nach den Gruppenspielen aus. Auf Teamchef Herbert Prohaska hatte der genius loci keine Wirkung, er blieb stur bei seiner Wahl den nicht fitten Andreas Herzog und den außer Form befindlichen Anton Polster aufzustellen.

Die Tagebucheintragungen werden das Notizbüchl füllen aber dennoch unberührt lassen. Das Büchl nimmt vorübergehend eine zweite Gestalt an, die Homepage. So dient es auch dem zweifachen Zweck, private Eintragungen einer kleinen vielleicht interessierten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Das ambivalente Gemeinsame scheint überhaupt ein Thema dieser Reise und ihrer Beschreibung zu sein. Hannes und ich, zwei alte Sportreporter, schauen sich nach 18 Jahren die Stätte ihrer Untaten an. Frankreich hat 1998 nach mühevollem Beginn in einem furiosen Finale die Brasilianer 3:0 geschlagen. Das ganze Land war wie in Trance, keine Spur von Terror oder Streik. Das Land war im Einklang mit sich und nahm sich einen Monat Zeit für eine hysterische Unnötigkeit. Weiterlesen

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Sport oder Menschenrechte

Ein Symposion in Wien über die Sommerspiele in Rio 2016 zeigte wieder einmal, dass über die problematischen Folgen von Sport-Mega-Events nur oberflächlich geredet, aber kaum etwas dagegen getan wird

Evandro Didonet ist ein eleganter, schmächtiger Mann, er spricht leise und lächelt diplomatisch dabei. Er hatte den undankbarsten Part zu spielen, den des Feindbildes. Didonet ist Brasiliens Botschafter in Wien. Dort wurde unter wilden Protesten und brutalen Polizeiaktionen die FIFA-Fußball-WM 2014 abgehalten. Korruption, Vertreibung von Armen zugunsten von Immobilienhaien, Kürzung der staatlichen Bildungs- und Gesundheitsprogramme und eine 1:7-Niederlage gegen Deutschland im Halbfinale verankerten den Event für viele Jahre als ein traumatisches Erlebnis im Gedächtnis vieler Brasilianer.

Und jetzt im August steigen in Rio de Janeiro, einer der schönsten, gefährlichsten und jetzt auch noch vom Zika-Virus verseuchten Städte der Welt, die Olympischen Sommerspiele. Im Haus des Sports in Wien diskutierten Sportminister Hans Peter Doskozil, Aktivisten und Experten das Thema „soziale Nachhaltigkeit und Menschenrechtsstandards bei Sportgroßevents“. Die Aktion „nosso jogo – Initiative für globales Fair Play“ hatte geladen. Das Fazit: FIFA, das Internationale Olympische Comittees, Brasiliens Politik und die Sommerspiele gefährden die Menschenrechte. Evandro Didonet saß da, hörte zu und verteidigte sein Land. „Ich will die Lage nicht in rosigen Farben schildern“, sagte er, „die Proteste sind sicher berechtigt gewesen. Aber ich möchte auch auf die erheblichen Fortschritte verweisen, die es in unserem Land gibt.“

Brasilien sei eine Demokratie, sagte er, dort gäbe es Presse- und Meinungsfreiheit und die Möglichkeit, zu protestieren. „Die Zivilgesellschaft ist in Brasilien sehr mächtig und sehr laut“, sagte er. Und er hat Recht. In anderen Veranstaltungsländern wie Russland (Winterspiele 2014, Fußball-WM 2018), China (Sommerspiele 2008, Winterspiele 2022), Katar (WM 2022) oder Aserbaidschan (Olympische Europaspiele 2015) kann man Demonstrationen vergessen. Sylvia Schenk, die sich bei Transparency International Deutschland um den Sport kümmert, wies darauf hin dass im Jahr 2007, als Rio mit den Spielen 2009 betraut wurde, die ehemalige Militärdiktatur Brasilien als aufstrebendes Musterland mit blühender Wirtschaft und Demokratie galt.

Sportminister Doskozil sprach vom „Sport als Botschafter der Werte“, ÖFB-Präsident Leo Windtner lobte die Reformfreudigkeit des neuen FIFA-Präsidenten Gianni Infantino und mahnte, dass die Vergabekriterien für Mega-Events neu geregelt werden müssten. „Sport ist ein Botschafter, der alle erreicht“, sagte Martin Nesirky, Direktor des UN Information Service Vienna. Den Zuhörern fehlte sichtlich der Glaube. Auch Karin Lukas vom Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte konnte mit dem Hinweis, die UN habe 2011 „Richtlinien für Menschenrechte und Wirtschaft“ herausgegeben, die auch für Internationale Sportverbände gelten sollten, nicht überzeugen. Denn diese Richtlinien haben keine Gesetzeskraft, ihrer Übertretung folgen keine Sanktionen.

Heute liest man von dem Stadt-Abort in der Bucht von Rio, wo die Segelbewerbe stattfinden sollen. Von der Korruption, derentwegen eben Ex-Präsident Lula angeklagt werden soll und der Vertreibung von 70.000 Armen aus ihren Hütten. Julia Bustamente Silva, eine brasilianische Aktivistin, erzählte von der Geldverschwendung für die Wettkampfstätten der Fußball-WM und der Sommerspiele. Geld, das den Geschäftsfreunden der Politiker über Bauaufträge zugutekomme.

Die Frage, wie sportliche Mega-Events zu reformieren wären, wurde leider nicht erörtert. Man erging sich in Einzelheiten der bis an die Zähne bewaffneten Polizei, die während der Spiele eine Sicherheitsshow für die Touristen abziehen und die Einwohner drangsalieren werde. Mit der offiziellen olympischen Legende vom Transport der Freiheit, des Friedens und der Völkerverständigung haben solche Veranstaltungen längst nichts mehr zu tun. Was dagegen zu tun sei? „Bewusstseinsbildung“, meinte Bernd Brünner von der Austrian Development Agency.

Und wer macht die? ÖOC-Generalsekretär Peter Mennel kritisierte bloß, die Zahl von 70.000 Vertriebenen sei möglicherweise nicht „seriös“ erhoben. Die Vertriebenen selber waren ihm erst nach Julia Bustamentes Entgegnung, es handle sich um regierungsoffizielle Zahlen, ein Wort des Bedauerns wert.

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