Ein Symposion in Wien über die Sommerspiele in Rio 2016 zeigte wieder einmal, dass über die problematischen Folgen von Sport-Mega-Events nur oberflächlich geredet, aber kaum etwas dagegen getan wird
Evandro Didonet ist ein eleganter, schmächtiger Mann, er spricht leise und lächelt diplomatisch dabei. Er hatte den undankbarsten Part zu spielen, den des Feindbildes. Didonet ist Brasiliens Botschafter in Wien. Dort wurde unter wilden Protesten und brutalen Polizeiaktionen die FIFA-Fußball-WM 2014 abgehalten. Korruption, Vertreibung von Armen zugunsten von Immobilienhaien, Kürzung der staatlichen Bildungs- und Gesundheitsprogramme und eine 1:7-Niederlage gegen Deutschland im Halbfinale verankerten den Event für viele Jahre als ein traumatisches Erlebnis im Gedächtnis vieler Brasilianer.
Und jetzt im August steigen in Rio de Janeiro, einer der schönsten, gefährlichsten und jetzt auch noch vom Zika-Virus verseuchten Städte der Welt, die Olympischen Sommerspiele. Im Haus des Sports in Wien diskutierten Sportminister Hans Peter Doskozil, Aktivisten und Experten das Thema „soziale Nachhaltigkeit und Menschenrechtsstandards bei Sportgroßevents“. Die Aktion „nosso jogo – Initiative für globales Fair Play“ hatte geladen. Das Fazit: FIFA, das Internationale Olympische Comittees, Brasiliens Politik und die Sommerspiele gefährden die Menschenrechte. Evandro Didonet saß da, hörte zu und verteidigte sein Land. „Ich will die Lage nicht in rosigen Farben schildern“, sagte er, „die Proteste sind sicher berechtigt gewesen. Aber ich möchte auch auf die erheblichen Fortschritte verweisen, die es in unserem Land gibt.“
Brasilien sei eine Demokratie, sagte er, dort gäbe es Presse- und Meinungsfreiheit und die Möglichkeit, zu protestieren. „Die Zivilgesellschaft ist in Brasilien sehr mächtig und sehr laut“, sagte er. Und er hat Recht. In anderen Veranstaltungsländern wie Russland (Winterspiele 2014, Fußball-WM 2018), China (Sommerspiele 2008, Winterspiele 2022), Katar (WM 2022) oder Aserbaidschan (Olympische Europaspiele 2015) kann man Demonstrationen vergessen. Sylvia Schenk, die sich bei Transparency International Deutschland um den Sport kümmert, wies darauf hin dass im Jahr 2007, als Rio mit den Spielen 2009 betraut wurde, die ehemalige Militärdiktatur Brasilien als aufstrebendes Musterland mit blühender Wirtschaft und Demokratie galt.
Sportminister Doskozil sprach vom „Sport als Botschafter der Werte“, ÖFB-Präsident Leo Windtner lobte die Reformfreudigkeit des neuen FIFA-Präsidenten Gianni Infantino und mahnte, dass die Vergabekriterien für Mega-Events neu geregelt werden müssten. „Sport ist ein Botschafter, der alle erreicht“, sagte Martin Nesirky, Direktor des UN Information Service Vienna. Den Zuhörern fehlte sichtlich der Glaube. Auch Karin Lukas vom Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte konnte mit dem Hinweis, die UN habe 2011 „Richtlinien für Menschenrechte und Wirtschaft“ herausgegeben, die auch für Internationale Sportverbände gelten sollten, nicht überzeugen. Denn diese Richtlinien haben keine Gesetzeskraft, ihrer Übertretung folgen keine Sanktionen.
Heute liest man von dem Stadt-Abort in der Bucht von Rio, wo die Segelbewerbe stattfinden sollen. Von der Korruption, derentwegen eben Ex-Präsident Lula angeklagt werden soll und der Vertreibung von 70.000 Armen aus ihren Hütten. Julia Bustamente Silva, eine brasilianische Aktivistin, erzählte von der Geldverschwendung für die Wettkampfstätten der Fußball-WM und der Sommerspiele. Geld, das den Geschäftsfreunden der Politiker über Bauaufträge zugutekomme.
Die Frage, wie sportliche Mega-Events zu reformieren wären, wurde leider nicht erörtert. Man erging sich in Einzelheiten der bis an die Zähne bewaffneten Polizei, die während der Spiele eine Sicherheitsshow für die Touristen abziehen und die Einwohner drangsalieren werde. Mit der offiziellen olympischen Legende vom Transport der Freiheit, des Friedens und der Völkerverständigung haben solche Veranstaltungen längst nichts mehr zu tun. Was dagegen zu tun sei? „Bewusstseinsbildung“, meinte Bernd Brünner von der Austrian Development Agency.
Und wer macht die? ÖOC-Generalsekretär Peter Mennel kritisierte bloß, die Zahl von 70.000 Vertriebenen sei möglicherweise nicht „seriös“ erhoben. Die Vertriebenen selber waren ihm erst nach Julia Bustamentes Entgegnung, es handle sich um regierungsoffizielle Zahlen, ein Wort des Bedauerns wert.