Das ist der Link, unter dem die einzig mir bekannte journalistisch-kritische Würdigung von Marcel Hirschers Abschied zu finden ist. Deutschlandfunk.Mittlerweile sind Österreichs Medien derart heruntergekommen, dass sie abseits der Hauptstraße Skandalon keine vernünftigen, überlegten, distanzierten Bericht mehr zustande bringen. Auch die wenigen halbwegs guten finden in den meisten Ausgaben für den Sport keinen Platz, wie der „Falter“, oder sie machen keine aktuellen Themen, wie „Dossier“.
Also bleiben im Wesentlichen die Süddeutsche und der Deutschlandfunk. Beide haben schon beim Skandal um Anton Sailer Österreich kritisch begleitet, die kindische Aktion mit der Pressekonferenz Hirschers um 2015, hinter der sich die nebbiche Nationalratswahldebatte anstellen musste, war nun wieder eine Gelegenheit, das Nachbarland als fremden Nachbarn zu beleuchten. Hirscher, der sich offenbar nicht einmal überlegt hatte und auch bei seinem letzten Auftritt so was von kein Charisma versprühte, hatte immerhin das Glück, für eine größere Malaise des Landes zu stehen: der Winter kommt langsam, aber sicher ab. Aber hören und lesen Sie selbst:
Ich wurde vom Deutschlandfunk zu der Pseudo-Staatsaktion auch befragt, soviel sei im Vorhinein verraten. Ich hätte meine Meinung gern in einem heimischen Medium zum Besten gegeben, aber, siehe oben. Also Blog. Und Deutschlandfunk.
Ski AlpinHirschers Rückritt als nationale Pflicht
Österreichs Skirennläufer Marcel Hirscher hat seinen Rücktritt erklärt. Medial groß zelebriert. Der österreichische Rundfunksender ORF verschob dafür sogar eigens ein Wahlduell zur Nationalratswahl. Doch hinter der Inszenierung steckt mehr. Österreich fürchtet um seine ökonomischen Interessen.
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- Der Österreicher Marcel Hirscher hat seine Karriere beendet – im Alter von 30 Jahre. (dpa / AP / Alessandro Trovati)
Felix Neureuther „Sein Abgang ist ein erheblicher Verlust“
Dopingskandal „Ohne Schröcksnadel geht in Österreichs Ski-Rennsport nichts“
Trend zu immer größeren Skigebieten „Es geht nur um Imagewerte“
„Euerm Auftritt ist ein Rücktritt vorangegangen, dem wir jetzt den Vortritt gelassen haben, darum fangen wir ein bisschen später an heute…“
Eine gute Stunde musste die Politik warten, bevor ORF-Moderator und Journalist Tarek Leitner die ersten beiden Politiker zum Wahlduell bat. Die sportliche Nachricht des Tages, die mit der Ansetzung der Sondersendung schon in der Luft lag, hatte Vorrang.
„Es ist wirklich keine große Überraschung mehr, es ist eigentlich vorweg … ja es ist heute der Tag, an dem ich meine aktive Karriere beenden werde.“
… hatte eine knappe Stunde zuvor Marcel Hirscher dem nicht mehr überraschten Fernsehpublikum verkündet. Die eigens angesetzte Sondersendung mit dem Titel „Marcel Hirscher – Rückblick, Einblick, Ausblick“ beschäftigte sich eine Stunde mit dem Rücktritt, mit der Reflektion der Karrierestationen, wie es weitergeht und vor allem dem Warum gerade jetzt auf dem Höhepunkt?
„Als wenn hinter Dir eine hetzende Herde Hunde steht“
Der zweifache Olympiasieger, siebenfache Weltmeister und achtfache Gesamtweltcupsieger offenbarte, wie – trotz aller Dominanz – wenig selbstverständlich die Siege, aber extrem hoch der Druck gewesen war:
„Für mich war das immer bildlich so vorgestellt, wenn Du mit dem Rücken gegen eine Mauer stehst und hinter Dir eine hetzende Herde Hunde und Du musst aufführen, es hilft nichts und so hat es sich für mich angefühlt, also ich hab gewusst, ich muss jetzt alles oder nichts und mir war damals bewusst, besser draußen als wie Vierter werden.“
Und dass mit den vielen Siegen die Erwartungen hoch blieben, während sein Hunger nach mehr Titeln und auch sein körperlicher Akku nachließen…
„dass einfach der Sommer schon fast zu kurz wird für die Zeit, die ich brauche um wieder 100 Prozent regeneriert zu sein. … ehrlich gesagt, dass ich nicht mehr bereit bin einfach den Preis zu zahlen“
Übertriebene mediale Inszenierung
Ein Rücktritt, so nachvollziehbar wie emotional, aber auch tatsächlich so bedeutend, dass dafür eine Wahlsendung verschoben werden sollte – für eine außerplanmäßige Nationalratswahl, die infolge der Ibiza-Affäre stattfindet? Johann Skocek, österreichischer Sportjournalist und Buchautor findet diese Bedeutungszuschreibung und Prioritätensetzung unverhältnismäßig:
„Aufgrund dieser Unangemessenheit dieser Geste, dieser medialen Inszenierung kann man schön sehen, dass hier etwas ins Rutschen geraten ist. Skisport hat längst nicht mehr die Bedeutung für Österreich, er weiß es nur noch nicht.“
Denn gerade indem diesem Rücktritt ein höherer Stellenwert als der politischen Auseinandersetzung beigemessen wird, werde deutlich, dass der Skisport um seine Bedeutung kämpfe, argumentiert Skocek.
„Auch in den größten Tagen des österreichischen Skisports wäre es niemandem in den Sinn gekommen, die Politik, die natürlich auch die Helden verehrt, diese Politik hinter diesen Helden einzureihen. Das war damals nicht notwendig. Jeder hat gewusst, wie wichtig der Skisport ist, jeder hat das akzeptiert. So darauf zu pochen war nicht notwendig.“
Marcel Hirscher gewann bei Olympia in Pyeongchang 2018 zwei Mal die Goldmedaille (imago sportfotodienst)
Der Bedeutungsverlust hat enorme ökonomische Auswirkungen
Um zu ermessen wie enorm die Bedeutung für Österreich ist: Der Skisport hat das Land über ein Jahrhundert kulturell geprägt, verborgene Täler wurden touristisch erschlossen und dadurch wohlhabend. Eine ganze Industrie hängt daran: Skitourismus, Bergbahngesellschaften, Skihersteller, Skischulen, Restaurants – tausende Arbeitsplätze, erläutert Sporthistoriker Rudolf Müllner von der Universität Wien.
„Wenn diese Tourismusmaschine ins Stottern kommt, dann ist es natürlich wirtschaftlich unglaublich schwierig für Dörfer, Kommunen und natürlich auch für Betriebe. Es gibt in diesem Land, da können Sie sicher sein, ganze Heerscharen von Marketing und Tourismusstrategen, die sich mit solchen Fragen beschäftigen und versuchen hier gegenzusteuern.“
Klimawandel, schmelzende Gletscher, rückläufiger Skitourismus
Gegen Entwicklungen, die unaufhaltsam voranschreiten: Klimawandel, schmelzende Gletscher, rückläufiger Skitourismus – in den Schulen ist Skifahren im Sportunterricht längst nicht mehr selbstverständlich und auch die mediale Aufmerksamkeit muss der Skisport inzwischen mit anderen gesellschaftlichen Ereignissen und Aktivitäten teilen.
„Da geht es ja nicht nur darum, was den Rennlauf betrifft und dass man Kunstschnee befährt, sondern es geht um dieses ganze Setting von Alpinismus, Neoalpinismus, dieses Heimatgefühl, Berge, Traditionen usw. Also hier wird ein ganzes Setting mittransportiert, dass auch natürlich immer wieder mitschwingt bei diesen Skiübertragungen.“
Dass auch seine Helden braucht, die Identifikationsfiguren und die Erfolge für den Österreichischen Skiverband ÖSV. Dessen Präsident Peter Schröcksnadel fand zwar viele bewundernde Worte für Marcel Hirscher und seine Entscheidung. Dass er es aber sicher gerne anders gehabt hätte, schwingt auch in diesem Statement mit:
„Bei den Herren – ich habe das nachgezählt – wenn man die Punkte vom Marcel im Herren-Gesamtcup, also Nationencup, abzieht, dann sind wir 100 Punkte hinter der Schweiz – hm, Alarmzeichen? – das wird für uns sehr, sehr schwierig.“
Nicht nur die Frage nach der nächsten Generation, die diese Punkte- und Imagelücke von Marcel Hirscher im Skileistungssport füllen könnte, dürfte Österreich jetzt beschäftigen, sondern auch, wie es generell im Verhältnis zum Skisport steht.
Österreich bräuchte mehr Johann Skocek`s, einen Journalisten der sachlich kritisch berichtet und nicht abhängig ist von seinem Herausgeber der einen Sportverband (Skiverband) sponsert und natürlich nicht kritisch berichten kann/darf.