Die Standhochspringer

Ich habe den Fehler gemacht, am Dienstag, dem 10. September, die Diskussion der Sportpolitiker mit Sportfunktionären zu besuchen. Dem Termin war ein Forderungskatalog an die bei der Nationalratswahl antretenden Parteien durch die Bundes Sportorganisation vorausgegangen. Es ging dabei wie immer um den „Stellenwert des Sports in Gesellschaft und Politik“, bis auf wenige Punkte handelt es sich um dieselben Themen, die schon seit mindestens 25 Jahren abgehandelt werden. (Siehe das Dokument auf dieser Website).

Natürlich wollen Sportfunktionäre mehr Geld, das versteht man sogar, denn die Bundes-Sportförderung wurde seit 2010 nicht mehr valorisiert. Spenden an Sportvereine sollen steuerlich absetzbar gemacht werden, die Ehrenamtlichen hätten gern steuerliche Vorteile. Ein Berufssportgesetz muss endlich her, darüber wurde zum letzten Mal unter Schwarz-Blau I rund um die Jahrtausendwende ernsthaft diskutiert. Alle großen Koalitionen und namentlich die drei SP-Sportminister Norbert Darabos, Gerald Klug und Hans-Peter Doskozil haben sich nicht darum geschert.

Auch ein bundesweiter Sportstättenplan ist überfällig, derzeit wird der Schwund an Nachwuchstalenten durch die lückenhafte Infrastruktur noch verstärkt. Es ist beispielsweise ein Wunder, dass Österreich angesichts der mangelhaften Versorgung mit 50 m-Becken überhaupt noch Schwimmer hervorbringt, die bei internationalen Wettkämpfen zugelassen werden. Eine Erhöhunh der Zahl von Heeressportlerinnen ist hingegen nicht notwendig, man müsste bloß die vorhandenen Plätze nach Leistung vergeben und nicht nach Einfluss, denn derzeit werden vom ÖSV ungefähr so viele AthletiInnen von Bundesheer, Innenministerium und Finanzministerium versorgt wie von allen anderen Verbänden zusammen. Im Finanzministerium (Zollwache) sind überhaupt nur ÖSV-Leute zugelassen.

Die Aufwertung der Bewegungserziehung in Kindergarten und Schule ist ein altes Lieblingsthema der Sportverbände und –Minister, vielleicht auch deswegen, weil sie dort nichts zu sagen haben. Rührend wirkt die Forderung nach einer Programmreform im ORF zugunsten des Sports und eines Sportministeriums. Man kann nur hoffen, dass Ende September eine halbwegs vernünftige Person den Sport in der Regierung umgehängt bekommt und die realitätsbefreiten Sportfunktionäre aufweckt.

Die Diskussion war dem anachronistischen Fragenkatalog durchaus angemessen. Nicht nur behielt der ORF-Präsentator Rainer Pariasek die Fragehoheit, solange ORF Sport+ live sendete, er sorgte dafür, dass die Diskussion an der Oberfläche blieb. Alle Fragen, alle Antworten hat man in den vergangenen  ermöglichte der FPÖ-Sportsprecherin Petra Steger wiederholte Behauptungen, die „zu früh beendete“ Regierung haben das beste Programm seit langem verfolgt und sei leider bei der „Umsetzung“ – warum verwenden Politiker so gern diesen dummen Terminus? – leider gestört worden.

Die Liste Jetzt hatte keinen Sportsprecher geschickt, wahrscheinlich beschäftigen sie sich in ihrer existentiellen Not und der absehbaren Verabschiedung aus dem Parlament nicht mit solchen Marginalien. ÖVP-Sportsprecherin Tanja Graf sagte „krankheitshalber“ knapp vor der Diskussion ab. SPÖ-Sportsprecher und ASKÖ-Präsident Hermann Krist blieb es vorbehalten, gegen Steger und NEOS-Sportsprecherin Edith Kollermann die Sportpolitik der vergangenen Jahre zu verteidigen und gleichzeitig den Stellenwert des Sports als unzulänglich zu beweinen.

Petra Steger konnte nicht oft genug  betonen, wie super denn die Politik der Regierung hätte sein können. Doch von der vielbesprochenen „Sportstrategie Austria“ ist zwei Jahre lang nichts bekannt geworden,  was über (altbekannte) Schlagworte hinausginge. Steger hat sich in all ihrer Jugend bereits voll in den alten Politsprech der Funktionäre rund um sie hineingelebt: es hängt laut BSO an der Politik, dem Sport den ihm angeblich zustehenden Stellenwert zu geben. Neue Vorhaben wie die Valorisierung der Sportförderung, Sport-Abgaben von Online-Wettanbietern und steuerliche Absetzbarkeit der Spenden für Sportvereine haben Steger und Konsorten nicht zustande gekommen.

Das ist kecker Unsinn. Seit Jahrzehnten führen uns die Sportfunktionäre ihre politische Unfähigkeit und reformatorische Unbedarftheit vor Augen. Noch immer existieren DREI Parallelorganisationen, die den Breiten-etc-Sport organisieren – nicht schlecht, nicht unambitioniert, aber halt mit viel zu hohen Kosten. Vom sportinherenten Filz redet ach nie jemand, ein Mann wie Hermann Krist ist Verbandspräsident (ASKÖ), Nationalrat (SPÖ), Sportsprecher (SPÖ) in einer Person. Und er ist ein Beispiel für viele Männer, die mehrere Hüte auf dem Kopf tragen und das Problem gar nicht verstehen, wenn man sie darauf anspricht. Wenn es an der Infrastruktur fehlt, so ist die Verfilzung des Personals bestens ausgeführt.

Das sind historisch gewachsene Tabus, und ein Zeichen für die Unfähigkeit des „Sports“ sein Schicksal in die Hand zu nehmen und Politik und Gesellschaft zu zwingen, ihn ernst zu nehmen. Nichts leichter als andere, in diesem Fall die nicht minder unfähige Sportpolitik, für die eigene Marginalisierung verantwortlich zu machen.

Die ORF-Diskussion hat wieder einmal gezeigt, wie es nicht geht. Pariasek hat sich bemüht, aber er ist der harmlose Stichwortgeber geblieben, den die Funktionäre und Politiker brauchen. Die drängenden aktuellen Probleme wie (ÖSV-)Dopingskandale und sexualisierte Übergriffe sind natürlich nicht zur Sprache gekommen. Aber das wundert einen ja schon gar nicht mehr.

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