Wo die Welt noch einen Schimmer Glück enthält

Eine Verkürzung der Sommerferien wäre eine zynische Unterwerfung der Kinder unter die Selbstverwirklichung der Erwachsenen

Dieser Kommentar erschien zuerst im Falter. Aufgrund der Reaktionen und der Brisanz des Themas habe ich mich entschlossen, ihn auch hier zu veröffentlichen.

Wer kritische, gegen den Strich gebürstete Berichterstattung und Kommentierung schätzt, möge bitte den Falter kaufen – und auch das ab Oktober wieder erscheinende Datum.

Wer Lehrer werden will, muss lernen, die Schule, von der Einrichtung des Turnkammerls bis zum Chemiesaal, von der Morphologie der Alpen bis zum Höhlengleichnis von Plato, aus der Sicht der Kinder zu betrachten. Man nennt das Methodik, und es geht in jedem Fach darum, den Schülern die Tiefe und Schönheit, die Unbegreiflichkeit und Gnadenlosigkeit der Welt oder was wir dafür halten, nahezubringen. Und zwar in einer Weise, die ihnen zumindest eine Chance und im besten Fall noch eine oder zwei bietet, die Methode der Welt, oder was wir darunter verstehen, kennen zu lernen.

Dieses Prinzip eint alle Lehrer, ob sie nun im Kindergarten oder in der Hochschule unterrichten. Nicht alle Lehrer halten sich daran, manche sind intellektuell oder emotional überfordert, manchen sind Kinder schlicht egal. Ich habe in meiner fünfjährigen Zeit als Mittelschullehrer einige dysfunktionale, für Kinder gefährliche Kollegen erlebt, die allermeisten aber waren hingebungsvolle Pädagogen. Die größte Gefahr für die Kinder in der Schule stellen nicht unfähige Lehrer dar, sondern die Schulpolitik. Einen markanten Einschnitt stellt in dieser Hinsicht die Regierung Wolfgang Schüssels dar, der Elisabeth Gehrer als Unterrichtsministerin einsetzte. Nicht so sehr die Einsparungen, sondern die zynische, von betriebswirtschaftlichem Blabla schlecht maskierte Neuorganisation der Schule führte zu einem Niedergang des Systems, der sich in den vergangenen 15 Jahren aus vielen Gründen noch beschleunigte.

Das grundlegende Übel in allen Diskussionen ist die funktionale Beschreibung der Kinder. Sie nennen sie Schüler und verallgemeinern sie zum Schulsystem. Das macht den Weg frei, das System mithilfe von Experten und unter Rücksichtnahme auf Lobbyinggruppen zu „reformieren“. Die Kinder geraten aus dem Blick, sie würden die Systemkritik bloß stören. Familienministerin Sophie Karmasin und die Arbeiterkammer liefern eben ein krasses Beispiel für die Instrumentalisierung der Kinder: sie wollen die Sommerferien verkürzen. Das Kernargument: die Eltern haben Probleme mit der Betreuung der Sprösslinge.

Es geht also nicht darum, ob neun Wochen Ferien für Kinder gut sind, notwendig, sinnvoll oder einfach: schön. Es geht in dieser wie Sommergewitter jährlich wiederkehrenden Diskussion nicht um die Probleme der Kinder, sondern das Problem Kind aus der Welt zu schaffen. Jedes Jahr dieselbe hanebüchene mediale Jammerei: Wo bringe ich die Kinder unter? Welche – kostenintensive – Belastung ist das doch für die Eltern! Warum kümmern sich die Lehrer nicht auch in den Ferien um die Schüler?

Ein bisserl im Weg können die Kleinen ja gern sein, da kann man sich arrangieren. Aber wenn sie zu lange Aufmerksamkeit beanspruchen, Job, Karriere, Lebensplanung unter ihnen leiden, dann bitte huschhusch ab in Ferienhorte. Ein nicht unwitziges Detail ist, dass sich als modern, liberal verstehende Kreise am lautesten nach mehr staatlicher Betreuung schreien. Am Arbeitsplatz agiert man fortschrittlich, selbstbestimmt, um die Kinder aber sollen sich doch bitte (in den Ferien eh nutzlose) Lehrer und staatliche Betreuungseinrichtungen kümmern.

An dieser heuchlerischen Diskussion beteiligt sich die „gesprächsbereite“ Bildungsministerin Sonja Hammerschmid gern, sie kann schließlich Reformbereitschaft, Modernität und Flexibilität zeigen. Politischen Klischees zu erfüllen, ist erste Regierungspflicht. Wäre doch gelacht, wenn man die Kinder, nein Kinder sagen sie nicht, sie sagen „das Schulsystem“, nicht an die Erfordernisse des „modernen Arbeitslebens“ anpassen könnte. Karmasin hat in einer demaskierenden Stellungnahme bereits darauf hingewiesen, eine Zerstückelung der Ferien (sieben statt neun Wochen im Sommer, dafür obligate Herbstferien, die übrigens gar nicht blöd wären) würden „den Tourismus“ ankurbeln.

Als was jetzt? Überforderung der Eltern oder Wirtschaftsimpuls? Sinkt der kostenintensive Betreuungsaufwand wenn die Ferienwochen anders verteilt werden? Die Diskussion entbehrt nicht nur jeder Logik, sie ist von einem Zynismus, dass einem das Hirn stehen bleibt.

Und wer fragt die Kinder, wer fragt nach deren Wünschen, Träumen, Sehnsüchten oder Bedürfnissen? Wer überlegt sich, ob Abläufe und Einteilungen, die quer zum Berufsalltag verlaufen, nicht vielleicht einen Mehrwert, um es ökonomisch zu formulieren, bringen? Einen Gewinn, der halt nicht in Arbeitsstunden, Vorrückungen oder erwachsener Selbstverwirklichung zu messen ist? Überlegt sich jemand, dass Kinderzeit nicht in Betreuungstagen, sondern in Glück, Freiheit, Muße, Tagträumen, Badetagen, nassen Wiesen und Schmetterlingsflügen besteht? Und wer sagt, dass in Zeiten digitaler Totaldröhnung nicht ein wenig fad sein, beim Fenster hinausschauen und Wolken zählen nichts bringt?

Politiker verstehen das nicht, Schulexperten kümmern sich nicht um Kinder. Aber wir Eltern, Lehrer und Journalisten könnten versuchen, mit den Kindern gemeinsam ein Stück Welt zu bewahren, das noch nicht dem Leistungs- und Optimierungswahn unterliegt.

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Eine Antwort zu Wo die Welt noch einen Schimmer Glück enthält

  1. fritz köhler schreibt:

    die „bildungsreform“ existiert seit Herta Firnbergs nachfolge, ebenso die hartnäckige fiktion der „Herbstferien“, die mit pseudopädagogischen argumenten letztlich die bedürfnisse der lehrergewerkschaft und der fremdenverkehrsindustrie befriedigen soll.
    der ausdruck „Herbstferien“ hat sich im sprachgebrauch von lehrern, eltern und schülern längst etabliert und wird unterstützt durch die dämlichen „autonomen freien tage“, die – noch dämlicher – geblockt werden, um dem anschein von herbstferien realität zu verleihen.
    erinnert stark an die milchkuh- und biologiefeindliche einführung der „Sommerzeit“ mit wahnwitzigen engergiesparargumenten.

    die justament immer noch völlig ausstehende bildungsreform hat ihre wirkung nicht verfehlt: wir sind so blöd, wir wollen betrogen werden.
    lustvoll.

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