Der Nackte in der permeablen Festung

Die Konferenz „Play The Game“ bringt alle zwei Jahre Funktionäre, Aktivisten, Politiker, Forscher und Journalisten zusammen, um die Interaktion von Ethik, Sport und Gesellschaft zu besprechen

Als er aus dem Wasser watet, schüttelt der Nackte das Wasser von den Armen. In Aarhus, Dänemarks zweitgrößter Stadt, dämmert ein milder Spätherbstmorgen Die Nordsee hat neun Grad, die Luft zehn. Der Mann setzt sich am Strand auf einen Stein und blickt hinaus auf die Bucht. Sobald ihn die Meeresbrise getrocknet hat, geht er sicher seinen Bürojob an. Daneben im Hotel Marselis häufen Landratten nach einer belebenden heißen Dusche gebratenen Speck, Toast, Käse und Schinken auf den Teller und zögern kurz vor der Terrine mit den „blödkogt“ Eiern.

Wenn der Deutsche Fußball Bund DFB dubiose Zahlungen leistet, um mutmaßlich die WM 2006 ins Land zu holen, wird das von Sportjournalisten wie Jens Weinreich im „Spiegel“ aufgedeckt. Wenn die Russlands Präsident Wladimir Putin und der Scheich von Katar, Hamad Bin Khalifa al-Thani, an gewissen Strippen ziehen, um die WM 2018 und 2022 zu kriegen, steht das im Buch der englischen Enthüllungsjournalisten Jonathan Calvert und Heidi Blake („The Ugly Game“) von der Sunday Times. Wenn Russlands Leichtathletikverband mutmaßlich systematische Doping seiner Sportler deckt, ja mitorganisiert, thematisiert das der deutsche Aufdecker Hajo Seppelt.

Das Fach des Sportjournalisten hat sich längst von der Beschränkung auf Matchberichterstattung emanzipiert und hilft bei der Ermittlung von Skandalen. Natürlich nicht ganz uneigennützig, denn Aufdeckerstories verkaufen Zeitungen und bringen. Quote.

Die Tagung „Play The Game“ behandelt alle zwei Jahre grundlegende Fragen der Ethik, des Sports und der Gesellschaft. Diesmal versammelten sich mehr als 400 Aktivisten, Funktionäre, Politiker und Journalisten, um dunkle Mächte wie FIFA, DFB, IOC, Katar oder die Stadtregierung und Polizei von Rio de Janeiro auseinanderzunehmen.

Der ehemalige Journalist und aktuelle Internationale Direktor des dänischen Instituts für Sportstudien, Jens Sejer Andersen, stellt das Programm zusammen, lädt die Referenten ein. Sein Netzwerk umspannt die ganze bekannte Welt des Sports, unter anderem berät er den Europarat. An der Internationalen Charta der UNESCO über Bewegungserziehung und Sport hat er mitgearbeitet und wenn irgendwo auf der Welt Mega-Sportevents wie die Olympischen Spiele in China problematisiert werden, laden sie Andersen ein.

Viele Teilnehmer kennen einander von Meetings in der weiten Kongresswelt. Bob Munro ist wieder da, der eines Tages beschloss, seine UNO-Karriere aufzugeben und in den Mathare-Slums von Kenyas Hauptstadt Nairobi ein Sozialprojekt inklusive Fußballschule auf die Beine stellte. Sein Kampf gegen die Korruption im kenianischen Fußball zog Morddrohungen gegen ihn und Suspendierungen der Verbandsverantwortlichen durch die FIFA und die Regierung nach sich. Kenyanische Gangster sind lebensgefährlich, aber mit Bob Munro legt man sich besser auch nicht an. Mittlerweile tummeln sich mehr als 14.000 Jugendliche in den Nachwuchszentren, säubern die Slums und heölfen bei der Aids-Prävention. Munro erhielt für seine Arbeit den „Play The Game“-Award 2015 und stehende Ovationen.

Der Bürgermeister von Aarhus, Jacob Bundsgard, und Dänemarks Kulturminister Bertel Harder, eröffneten die Tagung und gaben das inoffizielle Motto aus. Ein Zitat des Kämpfers gegen die Apartheid und Präsidenten von Südafrika, Nelson Mandela: „Sport lacht jeder Diskriminierung ins Gesicht.“ Dafür muss man freilich was tun, von selber geht das nicht. Anne Brasseur, die Präsidentin der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, skizzierte die Kernthemen der internationalen Sport-Agenda: Kampf gegen Doping, Hass und Hetze sowie Matchfixing, Good Governance und Zuschauergewalt.

Zumindest einen Punkt, den Wettbetrug, behandeln sie in den USA aber wirklich gründlich. Supervisory Special Agent Nicholas I. Cheviron schilderte in Aarhus, wie das FBI gegen das illegale Wettbusiness in den Staaten vorgeht. Sportwetten sind dort drüben, außer in einigen Oasen wie Las Vegas, verboten. Daher bleibt das Geschäft, das Cheviron auf mehr als 200 Milliarden $ schätzt – fast das Dreifache des Haushalts von Österreich! – den mafiösen Organisationen. Deren Zentralbüros stehen in Asien, vor Ort in den USA bedienen sie sich korrupter Coaches, Spieler oder Mittelsmänner, die willige Akteure verführen oder, seltener, erpressen. Ziele sind eher Spiele der Highschool-Meisterschaft, dort kriegen die Sportler nichts gezahlt. Profis der NBA beispielsweise schwimmen im Geld, die brauchen selten Zusatzeinnahmen. Aber auch in den kleinen Ligen zocken die Gangster durch manipulierte Quoten und gekaufte Spiele schnell mehrere Millionen $ ab.

Die Konferenz fiel mit dem Auftakt des Wahlkampfes um den FIFA-Präsidenten zusammen. Der diskreditierte, langjährige Amtsinhaber Joseph Blatter wurde, wie sein Abteilungsleiter von der UEFA, Michel Platini, von der FIFA-Ethikkommission für 90 Tage suspendiert. Am 26. Februar 2016 soll Blatters Nachfolger von den Vertretern der 209 Mitgliedsverbände gewählt werden.

In Aarhus haben sie ein Freiluftmuseum, „Old Town“, eingerichtet, dort steht das „Helsingore-Theater“. 1817 haben sie es in Hamlets Geburtsstadt Elsinor errichtet, und 1961 nach Aarhus übersiedelt. Dort ließ Jens Sejer Andersen über „Reform des Fußballs: Sein oder Nichtsein – ein FIFA-Präsident“ debattieren. Der deutsche Journalist Jens Weinreich, maßgeblich an der Aufdeckung des DFB-Skandals über eine dubiose Zahlung von 6,7 Millionen € an die FIFA im Jahr 2005 beteiligt, skizzierte die jüngste Geschichte der Sportkorruption. Zähle man die Summen der bekannten Korruptionsfälle im IOC und in der FIFA zusammen, sagte Weinreich, komme man auf rund 345 Millionen $. Aus der Korruptionsbekämpfung wisse man aber, dass nur rund fünf Prozent aller Betrügereien bekannt werden. Das ergäbe im Sport in den vergangenen 15 Jahren die runde Summe von sieben Milliarden $, die korrupte Funktionäre den Vereinen und Sportlern entzogen haben.

„Play The Game“ ist eine Initiative des Dänischen Institutes für Sportstudien (Idan), das seinerseits von Dänemarks Kulturministerium getragen wird. 1997 organisierte Idan die erste „Play The Game“ Konferenz, seither haben sich die Themen kaum geändert, schon 1997 ging es um Doping im Radsport, die Veränderung des Spitzensports zu einem Zweig der Unterhaltungsindustrie und die daraus folgenden Interessenkonflikte. Seither hat sich freilich der finanzielle, politische und menschliche Einsatz drastisch erhöht.

Da war Elizabeth Martin, eine ältere Dame aus den USA, deren Neffe vor einigen Jahren von einem Polizisten in Rio erschossen wurde. Sie gründete die NGO „Brazil Police Watch“ und warnt Touristen vor der Polizeibrutalität. Dem Jahresreport von Human Rights Watch zufolge wurden 2013 in Brasilien sechs Menschen pro Tag von Polizisten erschossen. In den überbewafften USA sind es täglich drei. Die Behörden begründen die „Maßnahmen“ routinemäßig mit dem Kampf gegen Drogenbanden. Und die Zahl der „Zwischenfälle“ steigt von Jahr zu Jahr. Mega-Events wie eine FIFA-WM (Brasilien 2014) oder Olympische Spiele (Rio 2016) verschärfen in der Regel die sozialen Konflikte, weil beispielsweise Menschen von ihren Wohnsitzen vertrieben werden, um dort Sportstätten hinzustellen. . In weiten Teilen der Berichterstattung werden diese Vorgänge freilich zugunsten einer Jubeltirade ignoriert.

Genau diese Oberflächlichkeit zeigte sich auch in Österreich vor und während der Olympischen Europaspiele in Baku. Die wohl korrupteste Familie der Welt um den Diktator Ilham Alijew ließ sich das Spektakel zig Milliarden € kosten, Österreichs Olympisches Comitee zeigte sich begeistert, ebenso wie die eigebettete Sportjournalistik Österreichs. In Aarhus diskutierte unter anderem Gulnara Akhundova von der NGO „International Media Support“ mit dem Vorsitzenden des inzwischen aufgelösten Organisationskomitees von Baku, Rasim Adjalow, ob die Europaspiele die korrupte Herrscherfamilie weissgewaschen hätten oder der Event zu einer Öffnung des Landes und der Meinungs- und Medienfreiheit beigetragen haben. Ergebnis? Unentschieden. Bestenfalls. Die führende Investigativjournalistin Aserbaidschans, Khadija Ismajilowa, sitzt im Gefängnis. Ihr Verbrechen? Sie deckte die korrupten Machenschaften der Präsidentenfamilie Alijew.

Der Sozialforscher Dennis Pauschinger von der Universität Hamburg hat sich genauer angeschaut, wie die WM und die Sommerspiele in Rio zum Anlass genommen werden, der Öffentlichkeit eine „Security Show“ zu bieten. Mit massivem Einsatz und drastischer Aufrüstung wird das Gelände um die Sportanlagen praktisch zum besetzten Gebiet erklärt. Es gäbe keinen Zweifel, so Pauschinger, dass die soziale Sicherheit durch die vorübergehende Errichtung einer „durchlässigen Festung“ nicht besser wird.

Die Rolle der Journalisten ist, Funktionäre wie FIS-Generalsekretärin Sarah Lewis nach ihrem Vortrag über die IOC-Reformagenda 2020 zu fragen, was daran eigentlich neu sein soll. Medien machen das Dilemma zwischen den Reformen der Internationalen Verbände und der weiterhin blühenden Korruption einer globalen Öffentlichkeit zugänglich. Manche, wie Jens Weinreich oder Jonathan Calvert von der Sunday Times, der mit seiner Kollegin Hedi Blake das Buch „The Ugly Game“ über die mutmaßlich gekaufte WM 2022 in Katar schrieb, betätigen sich quasi als Ermittler. Andy Brown von der „Sports Integrity Initiative“ hinterfragte in Aargus die Rolle der ICSS (International Center for Sports Security), einer zu 70 Prozent von Katar finanzierten Organisation, die weltweit für Sauberkeit im Sport sorgen will. Wie soll das gehen, wenn in Katar der Internationalen Gewerkschaft zufolge reihenweise ausländische Arbeiter auf den WM-Baustellen sterben?

Noch einen halben Liter dieses unaufgeregten Kaffees, noch ein „blödgekogtes“ Ei und einen Toast mit Speck. Den Strand entlang ins Stadtzentrum zum Bahnhof, kein Badender weit und breit, mehrere Kollisionen mit den auch in Aarhus total bremsenbefreiten Radfahrern vermieden. In den Zeitungen steht, dass sich der suspendierte UEFA-Präsident Michel Platini selbst zum besten Kandidaten für den FIFA-Job erklärt. Die FIFA, auch so ein rauhes Meer, in dem viele Nackerte herumschwimmen und so tun, als seien sie unverkühlbar.

 

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