Über die journalistische Vergangenheit und den aktuellen Erfolg des Schriftstellers Daniel Glattauer
Es begann mit der Beziehungsanbahnung „Weihnachtshund“. Seither wird das vorweihnachtliche Buchgeschäft von einem Schriftsteller dominiert, der in einer Ecke der „Presse“-Redaktion das schreiberische Handwerk gelernt hat. Seine neueste Veröffentlichung heisst „Geschenkt“ und handelt vom Geschäft des Journalismus. Darin hat er tatsächlich Erfahrung.
Daniel Glattauer war der fleißigste Ruderer in der Galeere. Mitte der 80er Jahre hatte die „Presse“ den Eingang in das digitale Zeitalter gefunden und flugs Computer-Arbeitsplätze eingerichtet. Sie befanden sich in einer fensterlosen Nische des Großraumbüros und dort hämmerten die Chronik- und Sportredakteure die über den Tag gesammelten Eindrücke und Erkenntnisse in das System. Die Texte wurden „belichtet“, ausgedruckt, in Streifen geschnitten und zu Zeitungsseiten zusammengeklebt. Der Lichtsatz hatte gerade den über Jahrhunderte erprobten Bleisatz abgelöst, er beendete den Beruf des Setzers und wurde nach wenigen Jahren vom elektronischen Zeitungsmachen obsolet gemacht.
Rund zehn Computer standen in dem kochnischengroßen Schlauch, an neun Maschinen wechselten einander die Redakteure ab, an der zehnten saß der Daniel und fitzelte an seinen Texten herum. Es waren idyllische Tage im Hotel am Ring, der alte Schulmeister ging irgendwo über unseren Köpfen nachdenklich auf und ab, Chefredakteur Chorherr hatte hie und da einen cholerischen Anfall, was der Qualität der aktuellen Ausgabe zugute kam. Ernst Molden schaute hie und da vorbei, legte die mit total unsexy Plastiksaiten bespannte Konzertklampfe auf den Schreibtisch, schlüpfte hinter einen Bildschirm und hinterließ eine aktuelle Wunderlichkeit, von der niemand so recht wusste, ob er sie recherchiert oder geträumt hatte. War aber wurscht. Er war so ziemlich das Gegenteil Glattauers, musisch, unstet, Sitzfleisch wie ein Kolibri.
Inzwischen schreibt Ernst Molden wunderbare Lieder („Hammerschmidgossn“) und Daniel Glattauer verfasst längere Texte, die zwischen Buchdeckel gepackt und palettenweise verkauft werden. Molden kann von seiner Kunst leben, Glattauer ist durch den Verkauf seiner Geschichten reich geworden. Das waren, wie gesagt, idyllische Zeiten, als eine Zeitung das Potential ihres Personals noch pflegte, auch wenn die Chefs nichts davon mitbekamen. Glattauer verließ eines Tages die Galeere und schloss sich einem Magazin an, das es längst nicht mehr gibt. Das ist wahrscheinlich gar nicht seine Schuld, dazu wären eher Printmedien-Manager zu befragen.
Daniel Glattauer schloss sich dann dem „Standard“ an und setzte die ausladende Fertigung seiner Artikel fort, die er aus der Beobachtung eines Gerichtsverfahrens destillierte. Später erhöhte er die Intensität seiner Arbeit sogar noch, indem er dieselbe Zeitspanne für die Herstellung ganz kleiner, aber ganz wichtiger Textbausteine verwendete, die auf der „Seite eins“ des Standard in ein „Kastl“ passten. Als er den Standard verließ, weinte dem „Daniel, der gar nicht weiss, wie talentiert er ist“, die heute noch als Chefredakteurin beschäftigte Dame eine metaphorische Träne nach. Wenn man die Einser-Kastln des „Standard“ heute liest, kann man ihr Urteil und ihren Trennungsschmerz als nicht ganz unprophetisch stehen lassen.
Im vergangenen Sommer lief mir Daniel Glattauer nach vielen Jahren wieder einmal über den Weg. Nicht persönlich, sondern in Gestalt eines Buches. Es trägt den einschüchternden Titel „Ewig dein“. Ehemalige und aktuelle Mitglieder meiner nächsten und näheren Verwandtschaft legten mir dringend nahe, den Roman des ehemaligen Galeeristen zu lesen. Er würde in gar nicht so verklausulierter Weise von mir handeln. Der Anti-Held der Erzählung, ein intriganter, liebesbedürftiger Ungustl, heisst wie ich: Hannes. Die weiteren Parallelitäten will ich aus Gründen der Ersparnis von Platz und Peinlichkeiten für lebende Personen nicht weiter ausführen. Im Familienkreis wurden sie freilich mit einem Ausmaß an Aufregung kolportiert, die den Schutzreflex für die mir Anvertrauten stimulierten.
Vielleicht hatten meine Lieben das charakteristisch Unernste in Glattauers Erzählduktus nicht rezipiert und die von Wuchteln durchsetzte Prosa war angesichts zufälliger Namensgleichheiten an ihnen abgeprallt? Ich ließ mir das vom familieninternen Gebrauch leicht abgegriffene Exemplar übergeben und begann zu lesen.
Nicht gleich, erst waren Pete Townshends („The Who“) Biographie, Dan Kavanaghs Krimis („Duffy“) und ein Werk über die ersten fünftausend Jahre der Schuldenwirtschaft (David Graeber, hat nichts mit der ÖBB zu tun) sowie ein Hintergrundbericht über die sportlichen Aktivitäten von Wladimir Putins Lieblingsverein („The KGB plays Chess“) abzuarbeiten. Ein eigenes Buch („Mister Austria“) hatte ich auch fertig zu stellen, bis ich eines Abends, sicherheitshalber in liegender Position, „Ewig Dein“ öffnete. Wie hatte Daniel Glattauer seinen alten, sicher schon vergessenen Kollegen verklausuliert? Wer wäre denn geeigneter, den Fleiß und Erfindungsreichtum des Autors zu würdigen als ich? Würde ich Neues über mich erfahren? Ich wusste nur, es würde unerfreulich werden. So viel war aus den Beschwerden durchgesickert. „Hannes“ sei ein unangenehmer Zeitgenosse, hiess es.
Er tritt gleich auf der ersten Seite einer Dame, die sich umgehend als liebesbedürftig und unliebenswert darstellt, im Supermarkt auf die Ferse. Ein hartes Schicksal nimmt seinen Lauf. „Judith überflog sein Gesicht, als wären es die täglichen Sportschlagzeilen.“ Hier bin ich, ich kann nicht anders als es zugeben. Das „Wunder, wenn ein Mann um die vierzig im Supermarkt zu-, aus- und einpackte, als hätte er es vorher schon einmal getan“ ist dann dichterische Freiheit.
Es geht „sehr schnell und flott“ wie Glattauer seinen Stil in diversen Interviews charakterisiert, zur Sache. Der Herr stellt der Dame nach, befreit sie von ihrer beschwerlichen Lebensunlust, versöhnt sie sogar zeitweilig mit ihrer bescheuerten Mutter. „Sehr schnell und flott“ entpuppt sich die Liebe des Hannes als Freiheitsberaubung der Frau, die offenbar nicht zwischen den „täglichen Sportschlagzeilen“ lesen kann. Die moderne, selbstständige Frau und Lampengeschäftseigentümerin lässt sich „sehr schnell und flott“ in einen zitternden Zustand des Terrorisiertseins hineintreiben. Es braucht viele Seiten, oder in der Sprache der Geschäftshilfe und Quotenproletin „volle lang“, bis ihr ein Licht aufgeht. Wie ein derart aufdringlicher, peinlicher, weinerlicher, schmähbefreiter Typ einen Menschen, der über ausreichend Intelligenz verfügt, um ein Smartphone zu bedienen, an den Rand des Wahnsinns treiben lässt, bleibt Glattauers Betriebsgeheimnis. Und ich konnte die Verwandtschaft beruhigen. Ich hatte nach der von langen Pausen zwecks Nervenberuhigung unterbrochenen Lektüre des Werks kaum Ähnlichkeiten mit mir festgestellt. Die „täglichen Sportschlagzeilen“, na ja, das war ihm vielleicht wirklich nur passiert, dem alten Galeeren-Kollegen.
Selbstverständlich geht alles gut aus. Im diesem Buch und im neuen, das „Geschenkt“ heisst und von einem dem Alkohol zugeneigten und seinem Sohn entfremdeten Journalisten mit einer späten und steilen Karriere handelt. Das ist gut und aufbauend, auch wenn Glattauer vielleicht seine Vergangenheit in diversen Qualitätsblättern schönschreibt. Die Fragwürdigkeit gedruckter Erzeugnisse, die in der U-Bahn Boden und Sitzplätze verunzieren und deren Herstellung von einem Mitglied der Familie Dichand mit Zeitungen verwechselt werden,stellt er prinzipiell korrekt dar. Was wichtiger ist als die zwischen Idylle und ältesten Vorurteilen schwankende Darstellung des Zeitungsgeschäfts: Offenbar weist der Held keinerlei Ähnlichkeiten mit „täglichen Sportschlagzeilen“ auf.
So fügt sich zur persönlichen Friedensanbahnung vor dem Jahreswechsel ein Hoffnungsschimmer für eine Nische des Journalismus, die früher Branchenführer war und mit existenziellen Selbstzweifeln kämpft: sie möge nicht vor ihrem endgültigen Verschwinden nur mehr in der Form bestehen, die von der Wiener Müllentsorgung aus der U-Bahn gekehrt wird. „Geschenkt“ ist ein anlassbezogenes Geschäftsmodell, das in Tateinheit mit geschmückten Nadelbäumen auftritt. Für Printmedien sollte es, eventuell mit Ausnahme von Büchern gleichen Titels, nicht gelten. Weihnachten und die Zeit, richtige Bücher und Zeitungen zu lesen,kann kommen.
das ist klar, dass du mit deiner schreibkultur im sportjournalismus zu wenig befriedigung findest! grüße vom fritz