Spitzensportler sind auch nur Dienstleister

Wladimir Putin benützt den Spitzensport für seine Zwecke, das machen Mächtige seit vielen Jahren. Und von den Sowjets hat Putin gelernt, wie es wirklich geht

In diesen aufgeregten Tagen vor dem Beginn der Olympischen Winterspiele in Sotschi (7. – 23. Februar) ist viel vom internationalen Spitzensport als Mittel zur Etablierung einer besseren Welt die Rede. Es ist eine scheinheilige, pseudopolitische Rede. Man kann der Meinung sein, der deutsche Präsident Joachim Gauck respektiere die Bedeutung und Einflussmöglichkeiten Olympischer Spiele. Oder man meint, er überstrapaziere sie. Jedenfalls wird er den Spielen fernbleiben, um die autoritäre Politik des russischen Präsidenten Wladimir Putin nicht zu unterstützen. Im Gegensatz zu Gauck, dem US-Präsidenten Barack Obama und Frankreichs Präsidenten Francois Hollande wird Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann die Winterspiele in Sotschi besuchen. Politische Mitbewerber wie die Grüne Bundessprecherin Eva Glawischnig werten das als Anbiederung.

Warum sollte das symbolische Kapital des öffentlichen Spitzensports nicht gegen fragwürdige Regimes eingesetzt werden? Die bedienen sich ja auch des Sports zur Selbstbeweihräucherung. Diese Praxis ist freilich auch Demokratien nicht fremd. Vor wenigen Tagen versammelten sich UHBP Heinz Fischer, Bundeskanzler Faymann und Sportminister  Gerald Klug auf Kitzbühels Promi-Tribüne und klatschten medienträchtig in die Hände, als Österreichs „Skiheld“ Hannes Reichelt die Abfahrt gewann. Skierfolge von Österreichern gelten als Beweis der Leistungsfähigkeit von Österreichs Wintertourismus, Berglandschaft, Gastronomie und Skiindustrie.

Wenn also Wladimir Putin „seine“ Winterspiele genau zu diesem Behuf veranstaltet, nämlich zur Imageverbesserung von Land und Leuten Russlands, dann tut er genau das, was alle tun. Er kauft sich und seinem Land eine bessere Nachrede, und die (in Russland wie in Österreich von öffentlichen Geldern massiv geförderten) Sportler müssen spuren.  Solche Vorhaben klappen. Seit der Fußball-WM 2006 gelten die deutschen Gastgebers nicht mehr als penetrante Workaholics, sondern fröhliche Menschen, die mit entspannter Miene Arbeit und Party können. Und Fußballspielen sowieso.

Putin steht mit seinem Vorhaben aber auch in der Tradition der UdSSR. Die Sowjets spannten schon vor dem Zweiten Weltkrieg Spitzensportler dafür ein, durch ihre Siege dem sowjetischen System Ehre einzutragen. Vor kurzem hat erstmals ein russischer Wissenschaftler in Österreich die Geschichte der Inanspruchnahme des Sport durch das politische System der UdSSR erzählt. Im Rahmen des Kolloquiums „Olympia und der Kalte Krieg“ hielt der Direktor des Staatlichen Archivs für Zeitgeschichte in Moskau, Michail Prozumenščikov, einen Vortrag zum Thema „Cold War and Sport“. Ihm zufolge wurde bereits in der Zwischenkriegszeit der Spitzensport vom Zentralkomitee der Kommunistischen Partei den Zielen der allgemeinen Volksertüchtigung, nicht unähnlich den Vorgaben im nationalsozialistischen Deutschland, und der Hebung der Wehrkraft unterworfen. Um die Genossen zu motivieren wurde als Belohnung für die Körperstählung die Medaille „Bereit für Arbeit und Verteidigung“ in Aussicht gestellt.

Nach 1945 ging das Regime einen Schritt weiter. „Die Überlegenheit des sowjetischen sozio-politischen Systems“ war zu beweisen. Und wer sollte besser dazu geeignet sein, so Prozumenščikov, als die im direkten Wettbewerb mit den Vertretern des Kapitalismus stehenden Spitzensportler? Die Doktrin des „Siegens mit allen Mitteln“ trat in Kraft. Doch statt die sportiven Genossen zu beflügeln, hing sie nach Prozumenščikovs Urteil wie ein „Damoklesschwert“ über den Köpfen vieler Generationen sowjetischer Athleten.

Für ihre lückenlose Befolgung hatte der sowjetische Geheimdienst KGB zu sorgen. Den Agenten war die Aufsicht über die Sportler der UdSSR übertragen worden. Sie entschieden, wer zu Wettkämpfen ins Ausland fahren durfte, und wer zuhause bleiben musste. Dabei spielte die ideologische Verlässlichkeit eine ebenso große Rolle wie die Aussicht auf den sportlichen Erfolg. Vor allem im Ausland wachten die Geheimdienstler Tag und Nacht darüber, dass sowjetische Sportler nicht durch Kontakte mit Vertretern feindlicher Staaten die Konzentration auf das eine Ziel verloren: den Sieg. Prozumenščikov: „Die Beteiligung am internationalen Spitzensportgeschehen war ein integraler Bestandteil der sowjetischen politischen Doktrin.“

Putin wurde als KGB-Offizier groß, er diente auch der Nachfolgeorganisation FSB. Russischen Historikern zufolge soll er in dieser Eigenschaft mit dem verstorbenen IOC-Präsidenten Juan-Antonio Samaranch (1920 – 2010) Kontakt aufgenommen und ihn angeworben haben. Samaranch wurde mit den Stimmen des Ostblocks vor Beginn der Sommerspiele 1980 in Moskau zum IOC-Präsidenten gewählt. Jedenfalls ist Putin mit den speziellen Aufgaben vertraut, die Spitzensportler seit vielen Jahren für sein Land übernehmen.

Die Befolgung der politischen Vorgabe durch das Zentralkomitee der KPDSUführte zu kuriosen Auswüchsen. Viele Jahre durften beispielsweise  Bobfahrer oder Hockeymannschaften der UdSSR nicht an internationalen Turnieren teilnehmen, weil ihre Chancen auf Erfolg als zu niedrig eingestuft wurden. Vor den Sommerspielen 1952 in Helsinki errichteten die Sowjets ihr separates Olympisches Dorf, um ihre Sportler vom schädlichen Einfluss bürgerlicher Kombattanten abschirmen zu können. Aus Angst, dass sowjetische Sportler in den Westen überlaufen könnten, wurde die Olympiamannschaft 1956 in Melbourne nicht im Olympischen Dorf untergebracht, sondern auf dem UdSSR-Dampfer „Georgien“ kaserniert. Das Schiff hatte sie nach Australine gebracht und dort wohnten und trainierten die Sowjetathleten auch, sofern sie nicht wettkämpften.

Die Paranoia hatte freilich auch andere, im Rückblick witzig anmutende, Aspekte. Beispielsweise hat die sowjetische Eishockey-Nationalmannschaft, die legendäre „Red Machine“, seit 1956 (Cortina d’Ampezzo, Neugründung Österreichs mit den drei Goldenen von Anton Sailer!) bis 1992 (Albertville) jedes Olympische Finale gewonnen. Mit Ausnahme der beiden Endspiele in den USA: Squaw Valley und Lake Placid.

Und eine Lösung zur Abwendung von Null-Medaillen-Spielen hatten sich die Sowjets auch schon ausgedacht.  1952 plädierte ihr Delegation beim IOC dafür, die UdSSR-Paradesportarten  Gewichtheben und Geräteturnen von den Winter- zu den Sommerspielen zu transferieren. Österreichs Abordnung könnte sich dafür stark machen, zumindest einen Hallenslalom ins Programm der Sommerspiele einzubauen. Da Kanzler Faymann ohnehin nach Sotschi reist, wäre das ein ins Protokoll aufzunehmendes Gesprächsthema mit einem der mächtigsten Drahtzieher des Olympismus, Wladimir Putin.

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