Wer den Sport politisch-moralisch überfrachtet, ruiniert ihn, ohne eine bessere Welt zu gewinnen
Deutschlands Bundespräsident Joachim Gauck und Frankreichs Staatschefs Francois Hollande bleiben den Olympischen Winterspielen in Sotschi (7. – 23. 2.) fern. Sie protestieren gegen die Politik des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann hingegen wird in Sotschi seine Meinung vertreten, dass in Russland „Demokratie und Menschenrechte nicht so geachtet werden wie in Österreich“. Wie er das macht, wird man sehen.
Wieder wie zuletzt vor den Sommerspielen in Peking wird diskutiert, ob ein autoritäres Regime den Sport als Propagandainstrument missbrauchen darf. Das darf niemand.
Warum fährt dann überhaupt jemand nach Sotschi? Gauck und Hollande werfen sich scheinbar für die Gleichbehandlung Homosexueller und die Demonstrationsfreiheit in Russland in die Bresche. Sind Faymann und Österreichs Bundespräsident Heinz Fischer moralisch bedenkliche Herrschaften, weil sie einen Olympiaboykott der Politiker als Mittel der Politik ablehnen?
Die Grundfrage lautet: Wer missbraucht den Sport? Die IOC-Mitglieder, die menschenverachtenden Regimes Olympische Spiele überantwortet? Autoritäre Gastgeber wie Putin? Die Apologeten des Sports, weil sie ein von Politik gesäubertes Wolkenkuckucksheim herbeisäuseln? Oder doch die Boykotteure, die über den moralischen Hebel des Sports eine Verhaltensänderung der Verantwortlichen erzwingen wollen? Die Antwort ist simpel: Teilnehmer und Abwesende schreiben dem Sport gegen jede Erfahrung die Fähigkeit zu, die Welt zu verbessern.
So naiv waren sie nicht einmal vor 3000 Jahren. Damals reisten die griechischen Berufssportler unter dem Schutz der „Ekecheiria“ (Immunität) durch das Schlachtengetümmel zu den Spielen nach Olympia oder Delphi und wieder heim. Sportwettkämpfe schön und gut, aber deswegen versäumte kein Mensch eine Schlacht.
Der Sport als „ideologielose Ideologie“ diente allen Herren, den Kommunisten (Sommerspiele Moskau 1980), den Nazis (Berlin 1936), den Kapitalisten (Los angeles 1984), Diktaturen wie der in Mexico (Mexico City 1968) oder in Südkorea (Seoul 1988).
Und doch! Hat nicht Gaucks und Hollandes Protest Putin dazu bewogen, unter anderen die Mitglieder von Pussy Riot und seinen alten Widersacher Michail Chodorkowski freizulassen? Schön wäre es, wenn die politisch-moralische Wirkmacht des Sports dazu imstande wäre. Doch das ist Wunschdenken. Wer kann denn sagen, ob Putin das nicht ohnehin gemacht hätte und wenn nicht, was ihn wann wirklich dazu bewogen hat.
Als ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel seiner autoritären Attitüde gemäß vor kurzem sagte, er „rate keinem Sportler, sich politisch zu äußern“ und ein homophobes Ressentiment äußerte, führte er den Beweis: lebenslange Beschäftigung mit Sport macht einen vielleicht zum Sportler, aber nicht unbedingt zum Vorbild.
Gaucks und Hollandes Haltung mag ehrenwert sein oder eine opportunistische Inszenierung. Sie gefährdet weder die Spiele noch die Lebenschancen von Sportlern, die sich dafür jahrzehntelang schinden.
Vor den Sommerspielen 1980 in Moskau war das anders. 42 Nationen mit tausenden zu Tode betrübten Sportlern beschlossen, keine Mannschaft nach Moskau zu entsenden. Die Sowjetunion war im Dezember 1979 in Afghanistan einmarschiert. Der imagemäßig angeschlagene US-Präsident Jimmy Carter forderte daraufhin mehr als 100 Regierungen auf, die Reise nach Moskau abzublasen und zwang seine Olympiasportler auch dazu. Ein Musterbeispiel für die Instrumentalisierung des Spitzensports durch die Politik. Die Historikerin Agnes Meisinger hat über Österreichs Haltung zu den Spielen 1980 eine Diplomarbeit verfasst. Im Kolloquium „Olympia im Kalten Krieg“ des Ludwig Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgenforschung erzählte sie im Wintersportmuseum Mürzzuschlag über die Genese des Nicht-Boykotts Österreichs und die Rolle von Bundeskanzler Bruno Kreisky.
Kreisky hatte im Mai 1979 die SPÖ zum dritten Mal en suite in einer Nationalratswahl zur absoluten Merhheit (2,4 Millionen Stimmen, 51%, 95 Mandate) geführt. Am 20. Jänner 1980 erhielt er Carters Brief. Kreisky hatte den UdSSR-Einmarsch kritisiert. Aber ein Boykott? Er wollte sich nicht mit einem Nachbar anlegen, von dessen Rohstoffen (Erdöl, Erdgas) und Handelsvolumen Österreichs Wirtschaft und Bevölkerung abhängig war. Kreisky sagte in einem Interview mit der Kleinen Zeitung, was er vorhatte: „Wenn ich jetzt einen Boykott beschließe, wird mir zweimal auf die Schulter geklopft. Aber dann habe ich fünf Jahre Scherereien und muß das bei Reisen in Moskau erklären.“
Das formal autonome, mit SP- und VP-Politikern besetzte ÖOC stimmte brav mit 37:9 Stimmen für die Reise nach Moskau. Die Österreicherin Elisabeth Max-Theurer gewann die Goldene im Dressurreiten.
Das Skiidol Hermann Maier wird den Winterspielen in Sotschi fernbleiben. Sein aktiver, im Slalom und Riesenslalom chancenreicher Kollege Marcel Hirscher findet zwar in Russland auch so einiges nicht in Ordnung. Aber hinfahren und skifahren wird er. Wenn Faymann Putin die Hand gibt, mag er zwar im Moment wenige Schulterklopfer haben. Aber er unterliegt im Unterschied zum Kollegen Gauck nicht der Anmaßung, das gesellschaftliche Subsystem Sport könne leisten, woran das ganze System von Politik, Diplomatie und Wirtschaft scheitert.
persönlich bin ich für eine bedingungslose teilnahme an olympischen spielen generell, schon weil die geschichte deutlich zeigt, dass vorgeschobene politische boykottgründe sich nie politisch produktiv gezeigt haben. der heldenhafte Maier-„boykott“ ist aus seinem langen verbleib im werbeumfeld der Raiffeisen verständlich. würde er selbst noch fahren, wäre er selbstverständlich auch dort. traut er sich sowas natürlich nicht mehr sagen.
…und über die horrenden ausgaben zu lästern bei jeder gelegenheit ist überhaupt zweifelhaft, gar vom ORF, der so wie die österreichische wirtschaft einen fetten anteil davon verdient und alles zur unterstützung der Sotschi-spiele machten – hinter den kulissen versteht sich.