Bosman lernt reiten

Reitsport: Sind die Verbandsregeln mit dem EU-Recht vereinbar?

Ist es mit der EU-Rechtsprechung vereinbar, dass ein Sportverband einer Sportlerin die Teilnahme an nationalen Wettkämpfen erlaubt, das Antreten im Ausland jedoch nicht? Der seit September 2011 laufende Rechtsstreit zwischen dem Österreichischen Reitsportverband und der Dressurreiterin Ulrike Prunthaller (29) spitzt sich zu. Am 22. 4. wurde vor dem Wiener Bezirksgericht Innere Stadt ein Antrag auf Einstweilige Verfügung eingebracht, mit dem Prunthaller den Verband dazu bewegen will, eine Begründung dafür zu liefern, dass ihr seit mehr als eineinhalb Jahre das Antreten bei Einladungsturnieren im Ausland verwehrt wird. Prunthaller: „Und ich hoffe, dass ich mich bald wieder im Ausland mit anderen messen kann, das ist mein Leben.“

Die Affäre begann am 4. September 2011 mit dem Einganz zweier Zeugenaussagen beim Oberösterreichischen Pferdesportverband, denen zufolge Prunthaller (und ihr Trainer Friedrich Atschko) „Verstöße gegen das Tierschutzgesetz“ begangen hätten. Unter anderen Tierquälerei mit einem Elektroschocker.

Die Vorwürfe wurden zwei Wochen später auch vor der Staatsanwaltschaft Ried im Innkreis erhoben. Die Untersuchungen wegen des Vorwurfs der Tierquälerei (§ 222 StGB) wurden „von der Staatsanwaltschaft Ried mit Beschluss vom 20.12.2011, den ich hiermit vorlege, rechtskräftig eingestellt“, heisst es in Prunthallers aktuellem Antrag auf Einstweilige Verfügung. Prunthaller arbeitet für den Selfmade-Millionär und Besitzer des Bartlgutes, Wenzel Schmidt. Die beiden Zeuginnen waren Arbeitskolleginnen Prunthallers, die offenbar im Streit den Arbeitsplatz verließen.

Der Tiroler Reitsportlandesverband leitete ein Disziplinarverfahren gegen Prunthaller und Atschko ein. Nach mehr als eineinhalb Jahren wurde Prunthaller zu neun Monaten Sperre und 4000 Euro Geldstrafe verurteilt. Sechs Monate wurden angerechnet, die Sperre endet am 11. Mai. Atschko erhielt 5000 € Geldstrafe. Während das Verfahren lief, wurde Prunthaller von der Disziplinarkommission zwar nur für sechs Monate gesperrt und durfte anschließend in Österreich Turniere reiten. Sämtliche Ansuchen auf Auslandsstarts aber wurden abgelehnt. OEPS-Generalsekretär Franz Kager: „„Wir wollten vermeiden, dass eine Reiterin, die in Österreich ein Disziplinarverfahren mit schweren Vorwürfen laufen hat, das Land international repräsentiert.“

Prunthallers Anwalt vor der Disziplinarkommission, Karl Wagner, wundert sich, dass „bei einem des Diebstahls Bezeichtigten die Unschuldsvermutung gilt und er frei herumlaufen und arbeiten darf. Eine Profireiterin aber wird in ihrer Erwerbstätigkeit eingeschränkt, während das Verfahren läuft“.

Warum weicht das Urteil der Verbandskommission so drastisch von dem der Rieder Staatsanwaltschaft ab? Angelika May, Vorsteherin des Bezirksgerichtes Innsbruck und Vorsitzende der OEPS-Kommission: „Ich respektiere das Urteil des Rieder Gerichts, es beruht auf Zeugenaussagen. Die Kommission hat auch einen Lokalaugenschein gemacht und ein Sachverständigengutachten eingeholt.“ Im übrigen sei Prunthaller von allen Vorwürfen freigesprochen worden. Außer dem, „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit einen Elektroschocker verwendet zu haben“, wie es im Urteil heisst.

Bartlgutbesitzer Schmidt weist alle Anschuldigungen, tierquälerische Methoden auf seinem Gestüt zu dulden, heftig zurück. Schmidt: „Das ist unwahr  und wäre kontraproduktiv. In der Dressur kann ich keine Pferde verwenden, die Angst haben.“ Der materielle Schaden für das Bartlgut sei enorm, sagt Schmidt, denn seine beste Reiterin – Prunthaller war 2011 immerhin unter den 100 besten Dressurreiterinnen der Welt – habe eineinhalb Jahre die besten Pferde im Ausland nicht vorstellen könne, der Marktwert sei erheblich eingebrochen.

Darf Prunthaller nach dem Ablauf der Sperre ab 12. Mai wieder im Ausland antreten? Selbst wenn sie, wie sie und Schmidt ankündigen, Berufung einlegen. Das Verfahren würde weiterlaufen und der Verband könnte das Renomme-Argument wieder aufnehmen. „Ich hoffe schon“, sagt Prunthaller, „aber man weiss ja nie.“

Geht es um die Konkurrenz der Gutsbesitzer Schmidt und der OEPS-Präsidentin Elisabeth Max-Theurer? Schwer einzuschätzen. Schmidt arbeitete einst als Pferdepfleger auf Max-Theurers Gut und erzählt von einem Wickel, nach dem er sich bereit erklärte, seiner ehemaligen Arbeitgeberin aus dem Weg zu gehen. Die Innsbrucker Richterin May verwahrt sich jedenfalls heftig gegen den Vorwurf, die Disziplinarkommission habe aus Verbandsräson geurteilt oder die Präsidentin habe die Kommission beeinflusst. May: „Ich habe Max-Theurer das letzte Mal vor 25 Jahren gesehen.“

Max-Theurer gewann 1980 den Dressurbewerb der Olympischen Spiele von Moskau. Ihre Tochter Victoria (Weltrangliste: Nr 9) ist mit Abstand die beste Dressur-Reiterin des Landes. Die materiellen Umstände erlauben der Familie Max-Theurer den Erwerb von Gestüten und die Zucht erstklassiger Turnierpferde. Außerdem unterstützt die Präsidentin den Verband aus privater Tasche. Der OEPS hat im Vorjahr ein Referat „Partner Pferd“ eingerichtet. OEPS-Generalsekretär Kager: „Aus den Mitteln des Referates haben wir auch die Anwältin für die Zeuginnen im Verfahren gegen Prunthaller bezahlt.“

Schmidt zahlt Prunthallers Anwälte. Der Arbeits- und Vereinsjurist Peter Vogl will mit dem Antrag auf Einstweilige Verfügung „den § 20 der Turnierordnung des Pferdesportverbandes zu Fall bringen. Er ist mit den Rechtsgrundsätzen der EU, die eine freie Wahl des Arbeitsplatzes garantieren, nicht vereinbar.“

Der §20 behandelt die „Teilnahme von Österreichern an Turnieren im Ausland und an internationalen Turnieren im Inland”, darin heisst es: „Der OEPS kann in Wahrung der Interessen des österreichischen Pferdesports eine Startgenehmigung verweigern.“ Ist das ein höherer Wert als die EU-Freiheiten?

Vogl ist Ehrenpräsident des Erstliga-Fußballklubs Ried und arbeitete mehr als ein Jahrzehnt im juristischen Kollegium des ÖFB. Er bezeichnet die Auseinandersetzung als „Fall Bosman des Pferdesports“. Der belgische Profi Jean-Marc Bosman erreichte 1995 ein Urteil des Europäische erichtshofes, demzufolge Fußballer nach Ablauf ihres Vertrages ohne die Bezahlung einer Ablösesumme den Verein wechseln können.

Mit dem Hinweis auf das laufende Disziplinarverfahren lehnte Max-Theurer eine Stellungnahme ab.

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Eine Antwort zu Bosman lernt reiten

  1. Heike flatz schreibt:

    Wer Friedrich atschko kennt, der weiß, dass er nie anderst war, selbst als seine Tochter vor 15 Jahren in England Junioren Europameisterschaft gestartet ist. Und den Vorwurf der sexuellen Belästigung hört sich der liebe „Fritz“ auch nicht zum ersten mal an, die selbe Vorgehensweise wie bei mir vor 15 Jahren. Wundert mich, dass der es überhaupt soweit gebracht hat. Und die bartlgutbesitzer sind entweder dumm oder ignorant, anderst kann ich mir das nicht erklären.
    Schön dass es noch Gerechtigkeit gibt!

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