Die Seele ist ein Übergangsphänomen

Die Geschichte der Euro wird wie die der größeren Welt rundherum dort entschieden, wo die Besitzverhältnisse neu definiert und im besten Fall ruckartig umgedreht werden.

Reden wir über die Qualität. Wir haben vier Halbfinalisten. Portugal – eine Mannschaft im Dienste eines Kapitäns. Dazu die hartnäckigen Italiener sowie Deutschland und Spanien, die einander vermutlich ähnlicher sind als der erste Blick vermuten ließe. Worin, lieber Fred, setze ich zur semifinalen Frage an, besteht nun die Substanz der Vier?

Fred lächelt. Die vier Mannschaften haben die Euro geprägt, und zwar durch Konter und Passspiel. Die Portugiesen sind eine alte Seefahrernation, auf ihrem Schiff herrscht absolute Hierarchie. Kapitän ist Cristiano Ronaldo, sie sind quasi die atlantische Maske der mediterranen Griechen. Italien ist eine komplexere Angelegenheit. Gianluigi Buffon ist der beste Torhüter der Welt, und Andrea Pirlo der letzte Regisseur.

Haben die gar keine Nerven, lenke ich ab? Der Staatsanwalt ermittelte im Trainingslager wegen geschobener Spiele, Trainer Claudio Prandelli ließ vor der Euro anklingen, es sei vielleicht sogar besser, zuhause zu bleiben.Doch Fred wundert sich gar nicht. Mich erinnert die Lage an 2006, sagt er. Im größten Manipulationsskandal wurde unter anderem Juventus Turin, der Klub von Buffon, zum Zwangsabstieg verurteilt, zwei Klub-Manager wurden vor Gericht gestellt. In dieser Extremsituation hat das Nationalteam unter Marcello Lippi in einem zähen Finale gegen Frankreich den Weltmeistertitel geholt. Italien war glücklich, die Urteile wurden abgemildert.

Deutschland und Spanien können leider nur mit Fußballspannung aufwarten, unterbreche ich ihn.

Und die Deutschen werden  mit den Italienern Probleme haben, prophezeiht Fred. Die Italiener stehen tief und kontern. Diese Spielanlage erfordert bestimmte Qualitäten: höchste Aufmerksamkeit der ganzen Mannschaft, blitzschnelles Reagieren auf die Balleroberung. Denn keiner weiss, wann es soweit ist. Präzise Pässe in die Tiefe sind große Kunst und Pirlo beherrscht sie im Schlaf.

Die Verachtung der Handball-Verteidigung und des Konterspiels fußt demzufolge auf ungenügender Kenntnis des Fußballs, frage ich?

So ist es, stimmt Fred zu. Konterspiel ist eine Synthese der zwei Prinzipien, Tore verhindern und Tore machen. Mesut Özil beherrscht das subtile Passen auch, aber hier reden wir über eine andere Form der Quaität. Extensiver Ballbesitz und hohe Passfrequenz allein sind kein Qualitätskriterium, denn das kann auf Redundanz hindeuten: viel Getue, wenig Information. Der Unterschied liegt darin, dass die Spanier ihren Ballbesitz körperlos ausüben, die Deutschen hingegen mit Wucht. Es handelt sich um zwei unterschiedliche Arten einer Gattung.

Schon der Technische Report der Uefa über die Euro 2008 hat gezeigt, dass Ballbesitz allein noch kein Indikator des Erfolgs ist. 35% aller Angriffe mit mehr als acht Passes endeten in einem Versuch, aufs Tor zu schießen. Das kann man heuer von den Spaniern nicht behaupten, merke ich an. Und sie lassen Chancen zu.

Schon, sagt Fred, aber das ist nicht wichtig. Ich verweise auf Cesar Luis Menotti, der 1978 Argentinien zum Weltmeister gemacht hat. Er hat dekretiert: „Erziele nie ein Tor mit Gewalt.“ Die Spanier haben das weiterentwickelt zum Leitmotiv: „Verhindere nie ein Tor mit Gewalt.“

Sie werden im Semifinale die Galeere der Portugiesen entern, argwöhne ich.

Die Deutschen werden ihrerseits die Italiener mit ihrer körperlichen Präsenz unter Druck setzen, sagt Fred, und hoch verteidigen. Sie werden sich Probleme mit den Kontern der Italiener einhandeln. Der Ballbesitz ist nicht mehr die Seele des Fußballs, heute entscheidet der Augenblick nach der Balleroberung über den Erfolg.

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