Die Marienerscheinung von Barcelona und überhaupt

Vor zwanzig Jahren haben sie auch schon schnell gespielt und trainiert wie die Wahnsinnigen. Aber heute werden die Kicker in der Champions League nicht mehr müde. Vielleicht ist das ein Wunder der Jungfrau Maria.

Was fehlt Messi zu Jesus? Ein As. Wir sitzen so halbblöde herum im Cafe Diglas in der Wiener Wollzeile, der Wolfgang Weisgram und ich und sind uns in der Vermeidung der Bananenschnitten einig ohne ein Wort darüber verlieren zu müssen. Eine Gruppe Frauen mit aufgerissenen Augen und aufgespannten Schirmen schwebt draußen am Fenster vorbei, die schwächelnden Schneeflocken sollen nur ja nicht den Dalai Lama – oder eine seiner zur Zerstreuung des chinesischen Geheimdienstes hergestellten Inkorporationen, das war im Bewegungsfluss nicht so genau festzustellen – nässen. Als habe er nur auf diese Erscheinung gewartet sagt der Wolle, der wegen seines wollenden Bartes so heisst: hast den Messi gesehen gegen Leverkusen? 7:1. Der Cristiano Ronaldo ist auch Kicker. Was ich mit einem Kopfschütteln quittiere. Aber der Messi, fährt der Wolle fort, ist was Anderes. Die Anderen spielen Fußball, aber der Messi macht was, was keiner von denen kapiert. Was ich mit einem Kopfnicken aufdopple.

Messi macht gleichzeitig das, was jeder Bub kennt, und hier verbietet sich eine Genderparität, weil zumindest in meiner Generation Mädchen im Käfig vom Arenbergpark kein Leiberl in der auf Asphalt gebauten Leistungsgesellschaft hatten. Das hochtaktige, kurz angebundene Führen des Balles auf dem Innen- und Außenrist, der spielerische Kontakt mit der Schwerkraft, bereit, beim leisesten Anzeichen gegnerischer Intervention den Boden zu verlassen oder die Richtung zu wechseln. Die Antizipation der Verteidigerinterventionen, die der Dribbelnde durch die Wahl seiner Bewegungsrichtung herausfordert und quasi absammelt, da er, stets einen Gedanken und Haken voraus, den Satz, den Lauf, die Aktion entworfen, gedacht, geplant hat, bevor die Anderen wissen, was gespielt wird.Messi zeigt nicht nur die Unzulänglichkeit der verbalen Beschreibung, die Vorläufigkeit des Staunens, er ist wie ein Schlaganfall, ein Lungeninfarkt oder der Gitarrenton in Jimi Hendrix‘ „Little Wing“. Irgendwer, sagen wir Maria, zeigt in all diesen Phänomenen mit dem Finger auf den Sterblichen und sagt: Du. Sagt der Wolle. (Das mit dem Hendrix ist von mir.) Verschiedenste Religionen sind darin einig, dass Marias Aktionsradius weit über den katholischen Sechzehner hinausgeht. Wo Patriarchen herrschen, kommt die Jungfrau Maria auf Besuch. In der Orthodoxie, in derkoptischen und der katholischen Kirche, und eben auch in der FIFA. Neuerdings auch im ORF: Braunschlag. Überall dasselbe Ritual. Erst die Verträge, dann die Jungfrau Maria, von Ofczarek/Palfrader bis Messi.

Marienerscheinungen kündigen sich nicht an, sie lassen sich nicht analysieren, bloß tradieren, sie kommen und gehen wie Regen oder Parteifinanzen. Messi ist das größte Marienwunder aller Zeiten, größer als die Vorgängeroffenbarungen Pele, Maradona, Cruyff, denn er erscheint viel mehr Menschen gleichzeitig. Die neoliberale Erfindung des Privatfernsehens stärkt und verbreitet also den Glauben. Je näher das Auge dem Innenrist rückt, desto unbegreiflicher wird sein Wirken.  Die Gefahr, dass sich das Übernatürliche durch sein häufiges Auftreten im Hauptabendprogramm abnützt, besteht nicht. Immer mehr Menschen wenden sich von Gott ab, die digitalen Wallfahrtsorte helfen den Zweifelnden, am Glauben festzuhalten. Das katholische Kerngebiet Österreich kann sowieso nur mehr durch Hilfe von außen gerettet werden. Die Frage ist bloß, ob das nicht sogar die Kräfte der Jungfrau Messi übersteigt.

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