Denn sie wissen nicht, was sie sollen

Die Parlamentarier unterschrieben eine Petition für die tägliche Turnstunde und erklärten sich damit für ihr eigenes Tun unzuständig

Ein nettes Bild, wie sich die Herren Abgeordneten um ihre eigenen Unterschriften versammeln. Die Sportsprecher der fünf Parlamentsparteien hatten namens aller 183 Parlamentsabgeordneten eine Aufforderung unterzeichnet, die tägliche Turnstunde in Österreichs Schulen einzuführen. Sie unterstützen die Unterschriftenaktion der Bundessport Organisation, wenn auch nicht ganz klar ist, an wen sich die Forderung der Parlamentarierphalanx richtet. Der Hauptzweck war nach dem medialen Auftritt mit dem Volleyballverbandspräsidenten und selbst ernannten Kämpfer für das Kindeswohl, Peter Kleinmann, wohl erreicht.

Es gäbe natürlich Möglichkeiten. Die Parlamentarier könnten Bildungsministerin Claudia Schmied den Kopf waschen. Schmied hatte nach der medaillenlosen Pleite des ÖOC bei den Olympischen Sommerspielen 2012 in London sinngemäß gemeint, das an den Schulen klaffende Defizit an Bewegungseinheiten sei weder Schuld an der Schlappheit der Spitzensportler noch an der Verfettung der Kinder. Turnlehrer landauf landab krümmten sich vor Fremdschämen.

Die Abgeordneten könnten sich selber bei der Nase nehmen. Der Abgeordnete Peter Westenthaler (BZÖ) müsste sich zum Beispiel daran erinnern, dass in der Regierungszeit der schwarz-blauen und anschließend schwarz-orangenen Koalition die Anzahl der Turnstunden in der Schule verringert wurde. Die Mahnung zur Einführung von verpflichtenden Turnstunden in der Berufsschule und der Ruf nach ausgebildeten Turnlehrern in der Volksschule und im Kindergarten fand schon damals taube Ohren.

Die Herren von der ÖVP und der SPÖ müssen seit der Nachkriegszeit die Interessen ihrer jeweiligen Partei, die Interessen der assoziierten Dachverbände Sportunion und Askö und die Interessen der Regierungsmitglieder befriedigen. Diese polit-koordinative Herausforderung wird meist mit Totstellen gelöst.

Die FPÖ wird sich voraussichtlich nicht um den Sport kümmern, solange Generalsekretär Herbert Kickl keine Möglichkeit sieht, ihn für fremdenfeindliche Primitivreime zu verwenden. Dieser Tag rückt angesichts von ÖFB-Teamspielern mit migrantischem Hintergrund wie David Alaba, Marko Arnautovic, Zlatko Junizovic, Yasin Pehlivan Veli Kavlak oder auch der Schwimmer-Geschwistern Jukic allerdings in immer weitere Ferne. Der Diskurs über den Sport ist somit einer der wenigen, in der die FPÖ-Rüpel angenehmerweise kusch sind.

Der grüne Abgeordnete Dieter Brosz sorgt sich seit Jahren ernsthaft um den (Spitzen)Sport im allgemeinen und die Turnstunden im Besonderen. Leider stellte sein Engagement in der Sache parteiintern immer auch eine Art Privatinitiative dar. Die Grünen haben sich des Sports nie angenommen. Der kettenrauchende Patriarch Alexander van der Bellen fremdelte grundsätzlich bei populären Themen. Seine Nachfolgerin als Bundesführerin Eva Glawischnig hat die manchmal hochnäsige Art ihres Vorgängers zwar abgelegt. Doch vielleicht denken die Grünen: „Wir sind schon selber eine Bewegung, also wozu noch eine machen?“

Die 183 Parlamentarier, die jetzt für die tägliche Turnstunde unterschrieben, hätten längst entsprechende Gesetze beschließen oder zumindest fordern können. Beispielsweise eine grundlegende Lehrplanreform und die Einführung der Ganztagsschule. Wenn das verantwortliche Ministerium keinen Plan hat, wird der jedoch auch von den Parlamentariern nicht eingemahnt. Denn die Klubobleute koordinieren die Diskussion mit den eigenen Regierungsmitgliedern. Der Diskurs um die tägliche Turnstunde hat somit ein erstes bleibendes Ergebnis gezeitigt: Die parlamentarischen Unterzeichner haben dafür unterschrieben, in Zukunft nicht ernst genommen zu werden.

 

Dieser Beitrag wurde unter Die Presse, Zeitlupe abgelegt und mit , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Eine Antwort zu Denn sie wissen nicht, was sie sollen

  1. Fritz schreibt:

    die derzeitigen aktionen haben (leider) eine andere stoßrichtung:
    auslagerung des turnunterrichts in die sportverbände/vereine.
    das ist – wie ich persönlich aus dem stadtschulrat Wien „höchst erstaunt“ hören konnte, insgeheim auch ein langfristiges ziel der schulverwaltung.
    dazu passt auch das zuletzt kolportierte „argument“ des mysteriums,
    eine „stundenerweiterung“ könne nur am nachmittag erfolgen, mehr sei den kinderchen am vormittag nicht zumutbar.
    das genaue gegenteil ist der fall:
    die unterbrechung des sitzenden paukervormittags durch „Leibesübungen“ bringt verbesserung der aufnahmefähigkeit.
    aber der gegenstand „Leibesübungen“ wurde ja nicht unzufällig auf „Sport und Bewegung“ umgetauft – noch dazu mit zustimmung des „Verbandes der Leibeserzieher Österreichs“ und der ausbildungsinstitutionen (wie z.b. der Schmelz in Wien).
    an den in der nazizeit aus österreich in die benelux-staaten vertriebenen Leibeserziehungspionier Gaulhofer erinnert man sich nicht gerne: der hatte schon damals die tägliche turnstunde gefordert und auch praktiziert.

Hinterlasse einen Kommentar