Das Spiel hat längst begonnen

Die Fußball Weltmeisterschaft in Brasilien zerrt die autokratische Vergangenheit Brasiliens und die antidemokratische Gegenwart der FIFA ins Scheinwerferlicht

Es ist schwer, von der Aussicht auf das WM-Turnier in Brasilien (12. 6. – 13. 7.) nicht entzückt zu sein. Was kann es Schöneres geben, als dank der Zeitverschiebung während der kommenden fünf Wochen kommod jeden abend (mindestens) ein Match von zwei der 32 weltbesten Mannschaften anzuschauen. Umso zum Glück ist evident, dass nur die Spanier oder die Brasilianer Weltmeister werden können und die Deutschen und Holländer sicher nicht.

Das Turnier wurde Brasilien 2007 dank einer FIFA eine Rotationsregel zuerkannt, derzufolge das Turnier 2014 zum ersten Mal seit 1978 wieder in Südamerika stattfinden solle. Damals hatte die FIFA Argentinien und General Videla beglückt, der den WM-Titel der Argentinier zu Propagandazwecken ausschlachtete. Die FIFA scheute nie Kooperationen mit Diktatoren, die zahlen am besten, und, blickt man auf die WM 2018 (Russland) und 2022 (Katar) voraus, wird sich daran voraussichtlich nichts ändern.

Oder doch? Am vergangenen Sonntag veröffentlichte die Sunday Times ein mehrseitiges Dossier, in dem aufgrund von „Millionen von emails und Dokumenten“ der Verdacht geäußert wird, der einstige FIFA-Vizepräsident Mohamed Bin Hammam habe rund fünf Millionen $ an Verbandsfunktionäre verteilt, um sie zugunsten der Bewerbung Katars zu beeinflussen. Der FIFA-Kongress am 11. Juni in Rio de Janeiro wird sich wohl damit befassen müssen und eventuell die WM 2022 neu vergeben. Diese Geschichte reicht freilich weiter in die Geschichte der FIFA zurück als bis zur Wahl Katars.

Seit der Arbeiterpolitiker Lula 2002 zum Präsidenten Brasiliens gewählt wurde, baut das Land die Demokratie auf, baut die Ungleichheit ab und drängt den Einfluss der rechtsgerichteten Eliten zurück. Lulas einstige Kabinettschefin Dilma Rousseff folgte Lula 2011 nach, sie setzt seine Politik fort. Sie übernahm auch die WM, die dem Land bisher geschätzt zwischen zehn und 15 Milliarden € gekostet hat.

Die Demonstrationen gegen den Bau von Stadien mit Milliarden, die für das Bildungs- und Gesundheitssystem dringend gebraucht würden, die Repression durch Polizei und Militär, die politische und polizeiliche Korruption, Zwangsumsiedlungen von Armen aus ihren Favelas oberhalb von Rio in neue, weitentfernte Wohnungen und die hohen Ticketspreise sind auch Nachbeben der autoritären Politik Brasiliens seit fünfzig Jahren.

Am 1. April 1964 putschte das Militär den linken Präsidenten Joao Goulart, einen Rechtsanwalt, aus dem Amt. Menschen verschwanden, Regimegegner wurden gefoltert, die Generäle und ihre Günstlinge, unter ihnen ein gewisser Joao Havelange, füllten sich die Taschen und machten Karriere. Havelange übernahm den brasilianischen Fußballverband, 1974 zahlte ihm ein deutscher Sportartikelhändler, Horst Dassler, den Wahlkampf gegen den englischen Gentleman und FIFA-Präsidenten Stanley Rous. Horst Dassler (1936 – 1987) hatte von seinem Vater Adi Dassler die Sportartikelfirma adidas geerbt. Er ging daran, sich mithilfe williger Sportfunktionäre globalen Einfluss zu kaufen. Der Journalist Thomas Kistner (Süddeutsche Zeitung) hat in seinem jüngsten Buch „FIFA Mafia“ die Korruption minutiös aufgezeichnet.

Die FIFA wird nicht zufällig seit 1998 von einem ehemaligen Mitarbeiter Dasslers und Handlanger Havelanges geführt: Joseph Blatter. Die WM 2014 sollte den Auftakt zur Feier des 100. Geburtstages von Havelange (*1916) rund um die Olympischen Spiele (2016) in Rio bilden.

Doch es ging einiges schief. Die von Dassler gegründete Sportrechteagentur ISL legte Anfang des Milleniums eine Milliardenpleite hin. Vor Schweizer Gerichten kam an die Öffentlichkeit, dass die ISL an Funktionäre der FIFA (und des IOC und anderer Sportverbände) von 1989 – 2001 142 Millionen Franken Schmiergeld gezahlt habe. Das ist nur die beweisbare Summe. Unter den Empfängern von ISL-Geldern: Joao Havelange, der 2011 aus dem IOC floh und 2013 seine FIFA-Ehrenpräsidentschaft zurücklegte. Und Havelanges Ex-Schwiegersohn Ricardo Teixeira, der ehemalige Präsident von Brasiliens Fußballverband. Teixeira hat sich inzwischen nach Florida abgesetzt.

Teixeiras Nachfolger als Verbandspräsident ist José Maria Marin, wie Havelange glühender Verfechter und Günstling der Militärjunta und bekannt durch eine Eloge auf einen der talentiertesten Folterer in den Diensten der Generäle. Marin sitzt dem von der FIFA kontrollierten WM-Organisationskomitee vor, er repräsentiert eine Zeit der Unterdrückung, gegen die Brasiliens Bürger auf die Straße gehen. Brasiliens Präsidentin Rousseff will mit Marin nichts zu tun haben, dessen Freunde in der FIFA kratzt das nicht.

Die FIFA-Familie hält zusammen. Blatter hat seinen Neffen Philippe ins Geschäft mit WM-Rechten eingeschleust, der Sohn des UEFA-Präsidenten (und FIFA-Vize) und Verteidiger von Katar, Michel Platini, verfolgt dort wirtschaftliche Interessen. FIFA-Vizepräsident Issa Hayatou (Kamerun) erhielt Recherchen des deutschen Aufdeckungsjournalisten Jens Weinreich zufolge 24.700 Franken aus dem ISL-Füllhorn. Julio H. Grondona (Argentinien) ist Senior Vizepräsident der FIFA, ein langjähriger Kumpel Blatters, er sagte 2003: „Ich glaube nicht, dass ein Jude ein Schiedsrichter auf höchstem Niveau sein kann. Das ist harte Arbeit, und wie Sie wissen mögen Juden harte Arbeit nicht.“

Die FIFA zahlt für ihre Einnahmen aus dem Turnier keine Steuern. Im Umkreis von rund zwei Kilometern um die Stadien verläuft eine Sperrzone, die Schulen dort werden während des Turniers geschlossen. Im Umkreis der Stadien ist Werbung für und Verkauf von lokalen Köstlichkeiten verboten, die FIFA-Partner haben Exklusivrecht. Der Monopolist FIFA verdient zwischen drei und fünf Milliarden Dollar.

Das Hamburger Weltwirtschafts Institut nahm die Rolle und Auswirkung der WM 2014 unter die Lupe. Die Chance Brasiliens, Mitte Juli den Weltmeistertitel heimzuholen, sei wesentlich besser stehen als die Aussicht, unter die führenden Wirtschaftsnationen aufzusteigen. Zwar habe die Attraktivität des WM-Turniers unter der steten Präsenz der weltbesten Fußballer in den Ligen Europas und der Champions League gelitten, doch erfreuen sich die Nationalmannschaften nach wie vor großer Beliebtheit.

Die wirtschaftlichen Effekte eines WM-Turniers und der Olympischen Sommerspiele seien jedoch vernachlässigbar gering. „Der Wohlstand steigt durch gute Wirtschaftspolitik, eine gut ausgebildete Bevölkerung und die richtigen politischen Weichenstellungen. Mega-Events sind letztlich nicht mehr als ein Schlaglicht, durch das ein Land für eine begrenzte Zeit sichtbar wird“, so die Studie.

Auch für die EURO 2008 in Österreich (und der Schweiz) wurden vom Institut für Höhere Studien bis zu 4000 zusätzliche Jobs und 8600 Mann-Frau-Jahre prognostiziert. Untersuchungen nach der Euro zeigten jedoch, dass sich die Zahl der Arbeitslosen durch das Turnier nicht verändert habe.

Jens Alm vom Dänischen Sportinstitut erstellte einen „World Stadium Index“, in dem die „weißen Elephanten“, also Stadien, die nach einem Turnier leer stehen und verfallen, aufgelistet werden. Darin findet sich auch die EURO 2008-Arene in Klagenfurt. Die neuen Stadien in Brasilia und Manaus sind dafür prädestiniert.

Diese Häuser sind nur das aktuellste Zeichen für die Einstellung der FIFA und ihrer Machthaber, die stets das Wohl der Welt im Munde führen und doch nur ihre eigenen Interessen wahren. Der nun in der Sunday Times des dollarschweren Lobbyings für Katar beschuldigte Mohamed Bin Hammam spielte 1998 auf Geheiß und angeblich auch mit dem Geld der Kataris den Wahlhelfer für Blatter. Hammam zog Afrikas Verbandsvertreter auf Blatters Seite. Vor vier Jahren aber beging Hammam den Fehler, gegen Blatter als Kandidat für den FIFA-Präsidentenjob anzutreten, er wollte zu diesem Zweck angeblich Stimmen kaufen. Hammam wurde aller FIFA-Ämter entledigt, Blatters afrikanische Freunde (siehe Hayatou) regieren fröhlich die FIFA. Der FIFA-Kongress am 11. Juni bietet nun die Gelegenheit die Fäden der Geschichte, die vor 50 Jahren mit einem Militärputsch in Brasilien begann, zusammenzuknüpfen.

Wie es ausschaut, überschätzt auch Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff die positiven Wirkungen des WM-Turniers auf die Wirtschaft des Gastgeberlandes. Oder sie muss zumindest so tun, um die letzten Reste der Begeisterung und des sozialen Friedens über die fünf Wochen der Weltmeisterschaft zu retten. Wie in Griechenland (Sommerspiele 2004), Peking (Sommerspiele 2008), Vancouver (Winterspiele 2010) oder Sotchi (Winterspiele 2014) hat freilich auch der Megaevent derWM 2014 in Brasilien Baufirmen und polit-ökonomischen Netzwerken eine Gelegenheit verschafft, einem Land ihre Version von Ökonomie, die durch den Nachrang des öffentlichen Sektors (Bildung, Gesundheit, Grundversprgung) vor den Interessen privater Unternehmer gekennzeichnet ist, aufs Budget zu drücken.

Brasilien wird wie alle Veranstalter seit rund zwei Jahrzehnten, lange unter den Nachwirkungen des Turniers leiden. Das Land hat allerdings mit der WM auch noch eine sportliche Rechnung offen. 1950 verloren die hochfavorisierten gastgeber das Finale im Estádio do Maracaña gegen Uruguay 1:2. Vier Jahre später schlugen die Österreicher bei der WM in der Schweiz die Urus im Spiel um Platz 3 3.1. Aber ist ist ein ganz anderer Schatten.

 

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