Das Land Murmeltier

Ski-WM: Was ist das für ein Land, das mit dem Todesstrafenbefürworter Schwarzenegger, einem Amateurreiter auf Lipizzaner und Musikantenstadlschweinerock für sich wirbt. Doch sicher kein Land des 21. Jahrhunderts!

Österreich hängt in einer Endlosschleife. Die selbstlobhudelnde Eröffnungsfeier der Ski-WM in Schladming protzte mit den üblichen Österreich-Klischees. Retro-Skifahrer, kurzschwingende Skilehrer in der Gruppe, aufgedunsene Gesichter der Austro-Popper aus dem Jahre Schnee, der LederhosenRocker Andreas Gabalier mit seiner Schweinerock-WM-Hyme „Go for Gold“, ein unter einem Hobbyreiter trippelnder Lipizzaner, Todesstrafenbefürworter Scharzenegger sonderte Platitüden über seine „Heimat“ ab – nur Mozart und die unglückliche Kaiserin Sisi fehlten im alpinen Stereotypenkabinett.

Das Skifest offenbart von den ersten Sekunden an, welcher Wiederholungszwang in der Eigenwahrnehmung Österreichs steckt. Was hätte wohl Sigmund Freud zu Schladmings Eröffnungsabend gesagt? Ihm zufolge wird das Land von Skidodeln bewohnt, die schlechte Musik hören und nicht reiten können. Provinzpolitiker betteln in holprigen Sätzen Ausländer an, doch als Touristen in dieses schöne, herzliche, gastfreundliche, gebirgige, mit biologischen Fairtrade-Liftanlagen erschlossene Land zu kommen. Tradition schön und gut, aber diese Flut an reaktionären Assoziationen zeugt von der Ratlosigkeit des Österreichischen Skiverbandes im Umgang mit seinem historischen Erbe.

Dabei hat alles so vielversprechend begonnen. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die alpine Skiausrüstung der obsolet gewordenen Habsburger-Armee unters Volk verteilt. Neben dieser materiellen Grundlage sorgte der militärisch-formalisierte Skiunterricht, die Basis der „Österreichischen Skischule“, für den entscheidend Popularitätsschub. Der Skisport und der auf ihm ruhende Wintertourismus sicherten den Bauern und Hotels in den Alpentälern buchstäblich das Überleben. Und er empfahl sich als Ersatznahrung für die mit der Habsburgermonarchie zugrunde gegangenen Großmachtfantasien.

Der Präsident des Österreichischen Skiverbandes, Peter Schröcksnadel, hat die materielle Grundlage für diese Ersatzhandlung gelegt und die WM nach Schladming geholt. Das ÖSV-Budget von 42 Millionen € übertrifft jedes Budget eines vergleichbaren Landesverbandes bei weitem, aber er spielt auch um einen höheren Einsatz. Nirgendwo sonst auf der Welt beansprucht der Skisport ein ähnlich großes Kapitel im Buch der nationalen Heldensagen. Der Aufmarsch der alten Skifahrer während der WM-Eröffnungsfeier diente der Rekapitulation alter Mythen, die vom Gedanken ausgehen, auf den Bergesgipfeln verwandle sich der Mensch zu einer besseren Ausgabe seiner selbst. In den Alpenvereinen wurde diese Ansicht kodifiziert und zur Glorifizierung des Skisports verwendet, der wiederum vom Patriotismus in Beschlag genommen wurde.

Niemand glaubt an diesen Wertetransfer übrigens fester als die Skiheroen selber. Der wichtigste Skisportler des 20. Jahrhunderts, der dreifache Olympiasieger von Cortina d’Ampezzo, Anton Sailer (1935 – 2009), bezeichnete sich selbst als einen Geburtshelfer des österreichischen Selbstbewusstseines nach dem Zweiten Weltkrieg. Er legte nach dem Skifahren eine Karriere als Filmschauspieler hin, die ihn bis nach Japan zu einer verehrten Figur aus dem sagenumwobenen Land von Schnee und Eis machte. Bis zu seinem Tod sprach er davon, die Leistungsfähigkeit und das Selbstbehauptungswillen  des Österreichers mit seinem Vorbild wieder aufgerichtet zu haben.

Inzwischen ist der naive Skisport der 50er und 60er Jahre ein durchgestyltes, kapitalintensives Spektakel. Die Gesetze der televisionären Dramaturgie verändern zwangsläufig die Wettkampfordnung, der alpine Skisport muss sich den Forderungen der Medienindustrie beugen. Sie zahlt und sie schafft an. Vor dem Diktat der TV-Stationen und des angehängten Warenstrausses mit seinen politischen, kommerziellen und ideellen Profiteuren wäre das Eröffnungsrennen, der Super der Dame, wohl abgesagt worden. Tatsächlich wurde er wegen Nebels und schlechter Sicht nach vier Stunden Wartezeit gestartet und lange vor der Fahrt der letzten am Start stehende Läuferin abgebrochen. Der US-Star Lindsay Vonn bezahlte den Einsatz mit einem entsetzlichen Sturz und einer komplexen Knieverletzung.

Die zynische Geschäftsgrundlagen besagen eben, dass spektakuläre Stürze als Aufmerksamkeitserreger strahlenden Siegertypen wie der eigenwilligen Slowenin Tina Maze nicht nachstehen. Ebenso wichtig ist im überhitzten Wettkampf um Quote und Zuneigung jedoch der originelle, kreative Umgang mit den Bildern und Klischees der verschneiten Berge und idyllisierten Heimat. Ohne einen Schuss Ironie wird die Party mit den Sehnsüchten der Zuschauer und Sportler jedoch schnell eine Pflichtübung. Leider fühlt sich die vom ÖSV den Österreichern zugemutete Präsentation der Ski-WM genau so an. Auch wenn im Taumel der Erleichterung nach dem ersten Gold im Teambewerb die Funktionäre, froh über den Beweis ihrer Unentbehrlichkeit und Unfehlbarkeit, einander um den Hals gefallen sind.

Das Endergebnis der Ski-WM steht schon  fest: Österreichs Selbstbild darf nicht länger dem ÖSV überlassen werden. Oder das Land wird zum Murmeltier, das immer wieder den selben Tag durchlebt, ohne es selbst zu merken.

 

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4 Antworten zu Das Land Murmeltier

  1. Wolf schreibt:

    Super story, leider stimmts ….

  2. frizzdog schreibt:

    Johann, was hast du gegen murmeltiere?

  3. Ernst. Z. schreibt:

    Das Problem ist einfach nur das das wir es nicht ändern können…

  4. werner schreibt:

    den versuch wärs wert

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