Diese Europameisterschaft wird richtig zu denken geben, im Wettbüro, auf der VIP-Tribüne, im Finale und im Kopf.Egal, ob Deutschland gewinnt oder Holland nicht.
Die Herren der Zockerparadiese sind sich sicher: es wird Deutschland oder Spanien. Die Vorfreude auf die am 8. Juni beginnende Europameisterschaft der Fußballer ist ein Ergebnis harter Kalkulation. Der gößtmögliche Mehrwert an Geld und Gefühl soll herausschauen. Die Fußballer, halbtot nach einer mörderischen Saison, nehmen mit letzter Kraft Anlauf zu Ruhm und Ehre.
Das gilt im Besonderen für die Stürmer Mario Gomez oder Robin van Persie, die Wettbüro-Darlings für den Turniertorschützenkönig. Wobei noch keiner weiss, ob Gomez überhaupt spielen wird. Miroslav Klose ist der Liebling des deutschen Teamchefs Jogi Löw, leider ist er noch immer nicht ganz fit. Müdigkeit ist der größte geheime Misserfolgsfaktor in den zwei großen, einander alle zwei jahre abwechselnden Turnieren in Europa und der Welt. In den Nationen mit den stärksten Klubs schleppen sich die besten und am heftigsten beanspruchten Kicker nach Polen und in die Ukraine. Außerhalb der Teams kümmert das niemanden. Überarbeitete Millionäre? Passen nicht in das Marktgeschrei. Vorfreude ist Programm.
Die schummrige Plüschwelt Welt der Wettquoten ist von allen eine Euro begleitenden Parallelaktionen noch die rationalste. Schließlich geht es um viel echtes Geld. Politiker holen sich von den Fußballern symbolisches Kapital. Aber wie im EAV-Schlager vom Banküberfall kann es passieren, dass sie nicht sicher sind, ob sie Ein- oder Auszahler sind. Warum der Tiroler Landeshauptmannes Günter Platter David Alaba („How do you Do?“) englisch anredete, ist dadurch leicht erklärbar: Platter dachte, der ihm unbekannte junge Mann vor ihm habe ein Anliegen (statt umgekehrt) und schaltete blitzschnell vom Tiroler zum Weltpolitiker.Der Vorfall wäre ein Anlass, sich vom Innsbrucker Stadion zu emanzipieren. So hat Platter Zeit zum Nachdenken über seine Bedürfnisse. Und das Nationalteam muss sich selber dazu zwingen, endlich erwachsen zu werden und auch außerhalb des Innsbrucker Tivoli einmal ein Spiel zu gewinnen.
Noch einen Schritt weiter weg von der Euro als die Politik ist die bunte evangelikale Schar, die vor Soft Drinks bis zur Missachtung der Menschenrechte vor allen nur denkbaren Gefahren warnt. Die Ukraine bietet dafür – wie der Formel 1 GP in Bahrain oder die Olympischen Sommerspiele in China – eine wunderbare Bühne. Ahnte man nicht das Gegenteil, könnte man sogar meinen, die UEFA und ihr Präsident Michel Platini hätten mit der Wahl der Ukraine das Ziel verfolgt, wieder einem totalitären Regime mit den Stadionflutern heimzuleuchten.
Vielleicht wird der aufklärerische Impetus des internationalen Kicks tatsächlich unterschätzt. Die Lichtgestalt des europäischen Fußballs, der deutsche Kaiser der Herzen Franz Beckenbauer, wird in den kommenden fünf Jahren für die „Russian Gas Society“, einen der größten Sport-Sponsoren Europas werben. Damit transportiert Beckenbauer so nebenbei auch die Wohltaten der sich schlagartig entwickelnden Demokratie unter Wladimir Putin.
Beckenbauers und des Sports Demokratisierungsbewegung wurde gründlich vorbereitet. Russland (Sotchi) veranstaltet 2014 die Olympischen Winterspiele und 2016 die Eishockey WM (Moskau und St. Petersburg). 2018 folgt der Höhepunkt und die Probe aufs Exempel der russischen Demokratie: Die Fußball-WM. Bayerns Münchens Ehrenpräsident Beckenbauer war Mitglied des FIFA-Exekutivkomitees, das die WM an Russland und die folgende im Jahr 2022 an die Emerging Democracy in Quatar vergab. Damit der Franz auch dort nach dem Rechten sehen kann.